Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
existenziellen Krise der »Seelenklempner« dafür sorgen würde, dass der emotionale Wasserrohrbruch keinen Schaden anrichtet. Wenn dann alles, was für gute Bürger als nicht ganz dicht erscheint, fein säuberlich professionell abgedichtet ist, dann ist die schöne neue Welt nicht nur dermatologisch in Topform, sondern auch psychologisch in einem Zustand, der das Einoperieren des Lächelns in das alternde Gesicht überflüssig macht. Die Leute lächeln dann ganz freiwillig. Auch in einem solchen Land des Lächelns bliebe nur eines: Auswandern!
3. Psycho – Sterben
Aber keine Sorge, die Möglichkeiten der Psychologie sind weit begrenzter als die Hoffnungen, die auf sie gerichtet werden. In der verdienstvollen Hospizbewegung standen zwischenzeitlich so genannte Sterbeseminare hoch im Kurs. Solche Veranstaltungen haben durchaus ihren Sinn. Sie bieten Helfern in Hospizen und in Hausbetreuungsdiensten Beistand. Aber wer da psychologische Methoden erlernen will, um mit Sterbenden möglichst effektiv umzugehen, der geht in die Irre. Stellen Sie sich vor, lieber Leser, Sie würden im Sterben von jemandem begleitet, bei dem Sie bemerkten, dass er im Gespräch mit Ihnen eine gewisse Methode anwendet: Ich nehme an, dass das nicht die Weise ist, wie Sie in dieser ernsten Situation einem Menschen begegnen wollen. Sie werden sich dafür interessieren, was dieser Mensch wirklich denkt, und nicht, was er denkt, dass er jetzt sagen muss oder nicht sagen darf. Der Gründer der deutschen Hospizbewegung, Dr. Paul Türks, antwortete auf die Frage eines Journalisten, ob die freiwilligen Helfer in seinem Hospiz eine Ausbildung bekämen, es gäbe da ganz gute Sterbeseminare, aber wenn jemand nach einem solchen Seminar ganz genau zu wissen meine, wie man stirbt, »den können wir nicht brauchen«. In den wichtigen Momenten des Lebens ist Psychologie nutzlos oder sogar schädlich. Anders bei konkretem psychischem Leiden. Wer unter Waschzwang leidet, wird mit Recht umgekehrt beunruhigt reagieren, wenn der teuer bezahlte psychotherapeutische Fachmann offensichtlich ohne jede Methode nett mit ihm redet und betroffen erzählt, wie auch er selbst schweres psychisches Leid habe ertragen müssen.
IV. Psychotherapie und Religion: Die Gurustory – über Visionäre und Klempner
Der bisherige Ertrag der Überlegungen zur Psychotherapie für unser Thema Lebenslust ist außerordentlich karg ausgefallen. Der Kontrast zwischen den wissenschaftlich erwiesenen, bescheidenen, freilich durchaus nützlichen Wirkungen von Psychotherapie und den bombastischen Erwartungen der Gesundheitsgesellschaft an sie ist hier so krass wie nirgends sonst im Gesundheitsbereich. Damit ist allerdings auch das Ausmaß produzierter Frustration beträchtlich. Und da Frustration wiederum ein psychisches Phänomen ist, eignet sich der Psychobereich bestens zur Selbstversorgung.
Dennoch ist Psychotherapie keineswegs generell bedenklich. Machen wir uns nichts vor: Nicht nur irreale, utopische Hoffnungen, auch reales psychisches Leid stellen erhebliche Beeinträchtigungen von so etwas wie Lebenslust dar. Es wäre somit unverantwortlich, das Kind mit dem Bade auszuschütten und die gesamte Psychotherapie in Grund und Boden zu verdammen. Schon in den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass es nicht eigentlich die verschiedenen Psychotherapieschulen selbst sind, die die gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen heraufbeschwören, sondern vor allem die utopischen religiösen Erwartungen der nichtprofessionellen Öffentlichkeit, die alle Grenzen sprengen. Daher gibt es nur eine Lösung: die Grenzen der Psychotherapie aufzuzeigen, um die Psychotherapie zu retten.
1. Hilfreiche Manipulation – eine künstliche Beziehung für Geld
Wenn Psychotherapie der zielgerichtete methodische Einsatz von Kommunikation zur Heilung von Leiden ist, dann hat sie sich auf der einen Seite selbstverständlich abzugrenzen gegenüber einer frei schwebenden Alltagskommunikation. Dies aufzuweisen – oder eben nicht – ist Aufgabe der Therapieeffizienzforschung. Solche Untersuchungen sind damit keine unsittlichen Zumutungen an Psychotherapie, sondern sie sichern der Psychotherapie ihre Eigenart – und übrigens auch das Recht auf Bezahlung, die man für Alltagskommunikation nicht erwarten würde, es sei denn, Psychotherapeuten sähen sich nur noch als die zeitvertreibenden Kammerdiener einer versingelten Überflussgesellschaft.
Die Grenze zur anderen Seite hin wird deutlich, wenn man sich
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