Lebenssonden: Roman (German Edition)
unserer Unterschiede etwas gemeinsam.«
»Klar«, sagte Roland mit einem Nicken. »Ihr seid alle reicher, als irgendjemand ein Recht dazu hat. Sonst könntet ihr euch uns auch niemals leisten.«
»Stimmt. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Hmmm, das kompliziert die Dinge noch mehr!«
»Wie das?«
»Siehst du das denn nicht? Alle deine Kunden sind zwanghafte Persönlichkeiten.«
»Gehst du jetzt nicht ein wenig zu hart mit dir und den anderen Gästen ins Gericht?«
»Finde ich nicht. Eigentlich wollen wir hier doch Urlaub machen und sind dann so vergnügungssüchtig, dass wir uns nur Stress machen.«
»Wenn man bedenkt, was die Leute für diesen Urlaub geblecht haben, ist das durchaus verständlich«, sagte Roland.
»Das erklärt vielleicht ein paar Fälle. Aber nimm nur mal den alten Joshua Voichek da drüben.« Chryse wies auf einen agilen Hundertjährigen, der ganz in der Nähe saß. »Nach meinem Vater ist er wahrscheinlich der reichste Mann im System. Er hätte sein ganzes Leben im Roost verbringen können, ohne sein Vermögen anzugreifen. Und doch verschleißt er genauso schnell wie der Verkäufer, der ein Dutzend Jahre für einen Aufenthalt hier spart.«
»Ihre Theorie, Frau Psychotherapeutin?«
»Wir sind des Lebens überdrüssig. Der Reiz des Neuen ist uns abhanden gekommen. Es gibt keine Grenzen mehr. Niemand erklimmt heute noch den Mount Everest.«
Roland lachte spöttisch. »Warum sollte man auch? Wenn man zum Gipfelhotel des Everest will, nimmt man einfach eine Air-Tram in Nepal. Sie fliegt jede halbe Stunde.«
»Genau! Wohin könnte man im Sonnensystem überhaupt noch gehen, wo man nicht schon die Stiefelabdrücke eines anderen findet?«
Roland zuckte die Achseln und blieb ihr eine Antwort schuldig.
»Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, dass die Menschheit an Platzangst leidet. Wir wissen, dass es Grenzen gibt, die wir nicht zu überwinden vermögen. Also erfinden wir Orte wie diesen, die uns helfen, das zu vergessen.«
»Ist das nicht zu viel der Ehre für ein überteuertes Bordell?«
Sie wurde sich plötzlich des Zorns in seiner Stimme bewusst und musterte ihn. »Ein zertifizierter Entertainer ist doch keine Hure, Roland.«
Er hob fragend eine Braue. »Vielleicht könntest du mir den Unterschied einmal erklären.«
»Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich bin einfach nur gestresst. Verzeihst du mir?«
»Du musst mich nicht um Verzeihung bitten. Du könntest mich jederzeit feuern lassen, wenn dir danach ist.«
»Das habe ich wohl verdient.« Chryse wandte den Blick von seinem verärgerten Gesicht ab und richtete ihn auf den Bildschirm am anderen Ende des kleinen Restaurants. Die Ansicht stammte von einer entfernten Kamera irgendwo an der Hülle. Sie zeigte ein Gewirr aus I-Trägern, Druckbehältern und Rumpfplatten, die von der Schwärze des Alls eingerahmt wurden. »Wir sollten das Thema wechseln, bevor wir uns noch streiten. Ich habe schon den ganzen Morgen auf dieses Ding gestarrt. Was ist es?«
Er drehte sich um und folgte ihrem Blick. »Nur ein altes Wohnheim, das beim Bau von The Roost verwendet wurde. Mittlerweile ist es natürlich verlassen.«
»Man sollte meinen, dass die Eigentümer den lokalen Raum von Gefahren für die Schifffahrt freihalten. Wäre keine sehr gute Werbung, wenn eine Schiffsladung Touristen beim Anflug in diesen Haufen gerät.«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so baufällig, wie es erscheint. Schau mal genauer hin. Siehst du die Triebwerke, die in der Nähe der Luftschleuse hervorragen? Es sind noch zwanzig weitere über die Hülle verteilt. Dieser Koloss und ein halbes Dutzend weitere werden von Roost’s Hauptcomputer kontrolliert.«
»Der Betrieb dieses Schrottplatzes scheint mit einem großen Aufwand verbunden zu sein.«
»Das gehört zum Service – die Brocken sind gute Ziele für gut betuchte Kunden, um die Mysterien des Weltraums zu erforschen.«
»Die was?«
Roland lachte; sein Groll war plötzlich vergessen. »Bist du schon einmal in einem gesunkenen Schiff getaucht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie wär’s dann mit einem Abstieg zum Zeta-Deck? Es gibt dort eine fast perfekte Simulation der Esmeralda . Das war eine spanische Galeone, die im sechzehnten Jahrhundert vor Key West gesunken ist. In den Dreißigern hat man Schätze im Wert von sechzig Millionen Stellar aus ihr geborgen.«
Chryse schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust mehr auf simulierte Abenteuer.«
Er aktivierte den jungenhaften Charme und lächelte sie
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