Lebenssonden: Roman (German Edition)
er sich des Gesichtsausdrucks seiner Untergebenen bewusst. »Was ist denn los mit Ihnen beiden? Zack zack!«
Chala runzelte die Stirn. »Was ist los, Julius? Was ist das?«
»Sehen Sie es denn nicht? Wir haben eine Phantomquelle energiereicher Partikel, die sich mit dreihunderttausend km/s auf einem Vektor in Richtung Procyon bewegen. Das kann nur eins bedeuten: »Sie sind zurück, verdammt. Sie sind zurück!«
Chryse Haller sah mit offenem Mund, wie das Sternenschiff die Annäherung vollendete und in der Nähe des Bugs der Sonde »Station machte«. Das Ausflugsboot, das zweihundert Meter über ihr im All hing, wirkte winzig im Vergleich mit der großen metallgrauen Kugel. Sie legte den Kopf in den Nacken und sog mit den Augen die unzähligen Details der Konstruktion ein. Alles, was sie sah, unterstützte die Hypothese, dass der Koloss nicht aus diesem Sonnensystem stammte – obwohl das Sternenschiff nicht so fremdartig anmutete wie die Sonde. Die Linienführung wirkte irgendwie vertraut.
Die Vorstellung erschreckte sie so sehr, dass sie ein paar wertvolle Sekunden mit der Analyse verbrachte. Die Erkenntnis wurde ihr aus einer völlig unerwarteten Richtung zuteil.
Chryse Haller war eine Liebhaberin alter Filme. Nicht der alten Filme aus der Zeit ihrer Mutter oder Großmutter, sondern der »prähistorischen« Werke, die ursprünglich auf echtes Zelluloid gebannt worden waren, in 2D und oft in Schwarz-Weiß. Die einfachen, unkomplizierten Lebensstile sprachen sie an und erweckten in ihr den Wunsch, vier Jahrhunderte früher geboren worden zu sein. Zumal sie sich mit zwölf in Errol Flynn verliebt hatte.
Auf dem College hatte sie eine Arbeit über die Defizite des kulturellen Chauvinismus verfasst – die egoistische Annahme, dass die Dinge immer so bleiben, wie sie sind -, der das frühe Kino geprägt zu haben schien. Ihr Thema waren die Weltraumabenteuer gewesen, die erste Mondlandung – die Serien Buck Rogers und Flash Gordon , Endstation Mond, The Conquest of Space und noch ein paar andere. Jedes Epos war mit Raumschiffen angefüllt, die kaum mehr waren als offensichtliche direkte Nachkommen zeitgenössischer Flugzeuge. Auch nachdem die Menschheit schon den Fuß in den Weltraum gesetzt hatte, wurden Film-Raumschiffe noch immer als windschlüpfrige Geräte gezeigt, deren rasante Flugmanöver eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Luftkämpfen hatten.
Die Zukunft – als sie dann kam – hatte jedoch nicht die geringste Ähnlichkeit mit diesen Klischees. Abgesehen von den Shuttles und Fähren, die die Strecken zwischen den Raumhäfen der Erde und dem niedrigen Orbit bedienten, waren die eigentlichen Raumschiffe funktionelle, hässliche Fluggeräte. Wie die Sonde unter ihren Stiefeln waren es Ensembles geometrischer Figuren, die an simplen Trägern aufgehängt waren und von denen alle möglichen Teile in grotesken Winkeln abstanden.
Das eben angekommene Sternenschiff wich davon ab. Eine geflügelte Nadel war es zwar auch nicht, aber es war aerodynamisch. Genauso wenig wie die glatte Linienführung ein Zufall war. Die Haut des Sternenschiffs war von vielen Luftschleusen, Frachtluken und Maschinerie durchbrochen, wobei es sich möglicherweise um Wärmeaustauscher, Kommunikationsausrüstung und Dinge handelte, die nicht auf Anhieb identifizierbar waren. Es gab sogar eine Anzahl erleuchteter ovaler Fenster, die in konzentrischen Kreisen an einem Ende des Schiffs angeordnet waren. Im Mittelpunkt der leuchtenden Ringe befand sich eine große transparente Blase. Jede Unebenheit war geglättet und in die elegante Wölbung der Kugel integriert worden.
Plötzlich wurden ihre Betrachtungen von einem Adrenalinschwall fortgespült. Wenn das ein Sternenschiff war, dann musste die Erde es wissen, und zwar schnell. »Computer!«
Doch das Zentralgehirn des Ausflugsboots hüllte sich weiter in Schweigen. Sie ging in die Hocke und wollte sich vom Schiff abstoßen, als sie von einem starken Windhauch aus den Tiefen des Alls erfasst wurde.
Sie reagierte eher instinktiv als bewusst. Mit dem Kinn aktivierte sie die Steuerung des Rückentornisters, griff nach den Zwillings-Joysticks und stieß sich in Richtung des Ausflugsboots ab – alles in einer fließenden Bewegung. Als sie im leeren Raum hing, schob sie die Joysticks bis zum Anschlag vor und versuchte dabei zu verhindern, dass sie in eine Drehung um die Hochachse geriet.
Nach zehn Sekunden schaltete sie die Triebwerke ab und führte mit den Joysticks eine Drehung über
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