Lebensstrahlen
Minuten starrte Professor Braun durch das stark vergrößernde Glas auf dieses Fleckchen. Kopfschüttelnd ließ er das Reagenzglas endlich sinken.
»Sind Sie sicher, Herr Doktor, daß Ihr Ausgangsmaterial steril war und daß während Ihrer Versuche keine Keime von außen hineingelangen konnten?«
Holthoff wußte, was alles in dieser Frage lag. »Wir sind unserer Sache sicher«, antwortete er mit Entschiedenheit.
Professor Braun kehrte zu einem Tisch im Zimmer zurück, auf dem verschiedenes physikalisches Gerät stand. Sein Fingerdruck brachte eine Lampe zum Aufleuchten, die einen scharfen polarisierten Lichtstrahl aussandte. Er brachte das Glasröhrchen in das Licht und beobachtete es ein zweitesmal gründlich durch eine andere, noch stärkere Lupe.
Endlich öffnete Professor Braun die Lippen zum Sprechen.
»Ich glaube eine Amöboidbewegung zu sehen, Herr Doktor …«
Obwohl Holthoff auch vorher nicht gezweifelt hatte, ließen die wenigen Worte sein Herz doch schneller schlagen.
»Können Sie den Versuch in Ihrem Laboratorium in meiner Gegenwart wiederholen?« fragte der Professor weiter.
»Jederzeit, Herr Professor.«
»Gut. Dann werde ich heute in fünf Tagen bei Ihnen sein. Würden Sie mir das hier« – der Professor wies auf das Reagenzglas – »zu einer Untersuchung da lassen?«
Holthoff nickte.
»Ich müßte das Glas freilich öffnen«, fuhr Braun fort, »und den Stoff angreifen, um ihn unter das Mikroskop nehmen zu können. Wären Sie damit einverstanden?«
»Durchaus, Herr Professor. Wir sind in der Lage, jederzeit den Versuch zu wiederholen …«
»Es bleibt bei unserer Verabredung, Herr Doktor Holthoff.
Ich komme zu Ihnen auf die Eulenburg!« sagte der Professor und reichte seinem Besucher die Hand zum Abschied.
»Vielleicht, Herr Professor«, sagte Holthoff, »werden wir Ihnen dann schon mehr und noch Größeres zeigen können.«
*
In der Gegend von Hersfeld ging der Frankfurter Schnelltriebwagen mit voller Geschwindigkeit durch eine Kurve. Fest und sicher lagen die Räder des Fahrzeuges auf den Schienen. Die beiden Reisenden, die ein Abteil für sich hatten, spürten kaum etwas von der Bewegung; nur aus einer Tasse, die auf dem Tischchen am Wagenfenster stand, spritzte ein wenig Fleischbrühe heraus.
»Verzeihung, mein Herr!« sagte der eine der beiden, zog ein Tuch und begann die wenigen Spritzer vom Rock des andern abzutupfen. Der ließ die Zeitung sinken, in der er bis dahin gelesen hatte.
»Ist nicht der Rede wert«, meinte er abwehrend und wollte sich wieder seiner Zeitung zuwenden, doch der andere schien Lust zu einem Gespräch zu haben.
»Dreihundert Stundenkilometer und Bouillon in der Tasse, das verträgt sich doch nicht so recht miteinander«, fuhr er fort,
»man dürfte sich in diesen Schnellwagen eigentlich nur feste Sachen bestellen, aber der Mensch braucht auch auf solcher Schnellfahrt etwas H2O oder ähnliche Flüssigkeiten.«
Bei den Worten H2O sah der Angeredete auf.
»Ich nehme an, Sie sind Chemiker oder Physiker«, meinte er ein wenig belustigt.
»Beides, mein Herr.« Der Schwarzhaarige verneigte sich leicht. »Gestatten Sie: Doktor Bigot, Paris.«
Die Höflichkeit erforderte es, daß darauf auch der andere seinen Namen bekanntgab.
»Doktor Bruck«, sagte er reichlich undeutlich und wollte sich hinter seine Zeitung zurückziehen. Aber daraus wurde nichts, denn Monsieur Bigot plauderte weiter.
Von den Rekordleistungen der chemischen Industrie in Deutschland sprach er und ließ durchblicken, daß er die bedeutendsten Werke besichtigt hätte und bei seinen Besuchen mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen worden sei.
Sie werden dir auch nur gezeigt haben, was du sehen durftest, mein Lieber, dachte Bruck bei sich. Ohne es zu wollen, mußte er dabei an den Auftrag denken, um dessentwillen er nach Frankfurt fuhr. In seiner Aktentasche lagen die Zeichnungen zu neuen Hochspannungsröhren, die er dort bei einer Spezialfirma in Auftrag geben sollte. Es würde sicherlich nicht nur Geld, sondern auch einige Überredungskunst kosten, sie so schnell zu bekommen, wie Eisenlohr sie haben wollte. In seine Gedanken klangen wieder Worte Bigots, die ihn aufmerken ließen. Auf Probleme der Kernphysik kam er jetzt und gab dabei der Meinung Ausdruck, daß die deutsche Forschung auf diesem Gebiet doch ein wenig ins Hintertreffen geraten sei. Dr. Bruck versuchte zu widersprechen, aber der andere ließ seine Einwände nicht gelten. Er zählte die neuesten Erfolge amerikanischer
Weitere Kostenlose Bücher