Leberkäsweckle
um einen durchaus verdienten Exkollegen handelte. Sie brauchten Informationen, richtige, verwertbare Informationen. Journalismus war keine Märchenstunde, wo man mal was erzählt, weil es vielleicht stimmen konnte.
Später an dem Abend, als sie bei Jani beim Bier saßen, brachte der eingedeutschte Grieche die Sache auf den Punkt: »Isa alles Scheiße!« Damit war diese Diskussion gelaufen, und man konnte sich wieder wichtigeren Dingen zuwenden, den letzten Unfällen, der Lohnproblematik und dass eben die da droben immer besser aus einer Krise rauskämen als sie, die kleinen Männer. Das ätzte den Chefredakteur, und wenn Jakob, einer von der Alb, der es hier unten zum Zahnarzt gebracht hatte, nicht am Tisch gesessen hätte, das Ganze mit einem: »Des isch doch ganz klar Deng!« klar beendet hätte, wäre der Chef vom Dienst unruhiger nach Hause gegangen.
Also, was sollte er nun machen? Die örtliche Polizei an den Pranger stellen, weil sie mitsamt der Beutlinger Spurensicherung nicht gecheckt hatte, dass es sich um Hundeknochen handelte? Klar, die Leute würden wahrscheinlich schmunzeln, wenn man das entsprechend brachte. Aber wem war letztendlich damit gedient? Lachen, gut, aber bitte mit Sinn, sagte er immer zu den jungen Kolleginnen und Kollegen, die ganz schnell mit einer flachen Geschichte nach oben wollten. Nach oben, das war Arbeit, viel Arbeit und viel Selbst. Seine Philosophie eben.
Er hatte immer noch den Kötzle am Telefon. Dem war es ganz wichtig. Also bejahte der Chef vom Dienst erst einmal und wollte sich dann später entsprechende Gedanken machen, ob das eine Story war oder nicht.
Dass das eine Story war, davon war Frieder überzeugt. Jetzt wandte er sich wieder dem Fest zu, das immer mehr anzuwachsen schien.
An ein Durchkommen mit dem Auto war überhaupt nicht mehr zu denken. Der gesamte Weg hin zum Gütle war mit Autos vollgestellt, die Parkschlange arbeitete sich langsam den Berg hinunter. An fünf Biertischen, die man aus der Nachbarschaft zusammengeholt hatte, saßen die Zuschauer, die gerade herzhaft zu einem zünftigen »Herzilein« schunkelten. Das Bier lief gut, für Nachschub hatte er gesorgt, und auf drei Grills brutzelten Würste und Fleisch. Die Spurensicherer hatten inzwischen schon mal die Lampen aufgestellt und ihn höflich gefragt, ob sie vielleicht Strom haben könnten, denn sonst müssten sie auch noch mit Generatoren und so … Frieder hatte gleich Ja gesagt, denn jetzt auch noch Generatoren, das wäre Lärm, und das würde den Genuss dieser ganzen Veranstaltung deutlich schmälern.
Aber dieser Anruf bei der Zeitung, seiner Zeitung, war nicht richtig befriedigend gewesen. Er kannte diesen Tonfall, diese Stimmlage. So hatte er auch immer gesprochen, wenn er sich nicht sicher war, nicht gleich Ja sagen und im Grunde genommen jemanden hinhalten wollte. Das würde nichts werden, das war ihm klar. Er überlegte, ob er Alfred mal ansprechen sollte, aber der hing schon ziemlich in den Seilen. Dämmerte vor sich hin, und Frieders Enkel machten sich einen Spaß daraus, ihm allerlei Gewächs auf der Nase zu platzieren, woran er dann wieder aufwachte und schimpfend in die Runde schaute.
Sein Enkel, dachte Frieder, genau. Der konnte das doch mit Internet und so, da konnte man doch, wenn man es dann konnte, einiges machen. Er musste mit Moritz darüber reden.
Wenn der Frieder wüsste, was er mit seiner Aktion auslösen wird, dann würde er sich das noch einmal überlegen, dachte Gott. So war das manchmal, die Menschen hatten Einfälle und konnten nicht abschätzen, welche Folgen sie haben würden. Man schaue sich doch bloß die Sache mit der Kernspaltung an. Bestimmt hatten die Wissenschaftler gedacht, sie arbeiteten an einer sinnvollen Entdeckung. Aber was war daraus geworden? Zuerst fast ein Atomkrieg, der womöglich sogar ihn hier droben weggeblasen hätte, und dann diese sogenannten sicheren Kernkraftwerke, die mit ihrer Strahlung bei Unfällen die Erde verseuchten. Zumindest waren einige Länder nun dabei, diese gefährliche Energiegewinnung abzuschaffen. Das war eine gute Entwicklung, die auch Gott hoffen ließ. Zuversichtlich wandte er den Blick wieder auf die Erde hinab.
Zuversichtlich sein, das konnte Pfarrer Leonhard noch nicht. Er lag in seinem Krankenhausbett und versuchte sich zu besinnen. Viel war ihm nicht mehr in Erinnerung, aber das Bild von Schirmers Gesicht an seiner Windschutzscheibe hatte sich für immer eingebrannt. Er war ein Mann des Glaubens und als solcher
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