Leberkäsweckle
»Ausgrabungen« hatte, fühlten sich die Anwesenden wie in einer richtigen VIP -Lounge. Mit vielen Ahs und Ohs wurden die Aktionen der Spurensicherer kommentiert, hin und wieder gab es sogar Beifall, wenn ein neues Stückchen geborgen worden oder einer der Beamten im Dreck ausgerutscht war.
»Fehlt nur noch der Schampus«, sagte Alfred mit etwas langsamer Zunge in Richtung Frieder. Er hatte inzwischen der Biere zu viel. Blieb deshalb auch brav sitzen und sprach nur noch. Vom Grill hatten sie ihn vor einer Weile vorsichtshalber abgezogen.
Am anderen Tisch rätselte man um die Geschichte des Gütles. Wer war eigentlich der erste Besitzer gewesen, und wie hatte es damals ausgesehen und so weiter? Schließlich stellte sich heraus, dass es eigentlich zwei Grundstücke gewesen waren, die dann Anfang der siebziger Jahre zusammengeführt worden waren.
»Ich hab doch mit dem Hans no gschwätzt, domols«, sagte einer.
»Mit welchem Hans jetzt?«, wollte eine Frauenstimme wissen.
»Ha, mit dem Beißingers Hans. Der hot domols des dohanda ghet«, sagte Männerstimme.
»Sie send aber au net von hier?«, fragte wieder Frauenstimme.
»Von Ludwigsburg send mir«, erläuterte Männerstimme.
»Des hert mer«, konterte Frauenstimme.
»Ons gfellt’s«, kam es umgehend zurück.
An Frieders Tisch wurde mittlerweile die Geschichte dieses Stückchen Lands genauer unter die Lupe genommen.
»Also«, sagte Frieder Kötzle, »Beißinger, das war zwischen 1974 und 1986. Aber wer hat’s zuvor gehabt?«, fragte er in die Runde.
Ein rüstiger Endsiebziger schob sich nach vorne: »Ha i. Kauft hannes anno ’58, vom Merteseber Sepp. Der hot des gerbt ghet ond wollt’s net. Mir hends lang ghet. Bis dann onser Firma da Bach na isch. No hot’s d’ Bank ghet.«
»Do han i es no billig erworba«, sagte der Beißinger Hans.
»So isch’s no ganga«, sagte der Endsiebziger, »ond mei Hasso liegt elleweil no do.«
Hier wurde Frieder Kötzle hellhörig. »Was war des mit deim Hasso, Winfried?«, fragte er nach.
»Ha, den hanne begroba, domols, des muaß Afang dr sechzger Johr gwesa sei.«
»Und wo hast du ihn begraben?«, wollte Frieder nun genau wissen.
»Do dronta, wo i später dann dui Hütte nabaut han«, antwortete Winfried.
Frieder schwieg erschüttert. Es konnte also sein, dass die ganze Aufregung, Kommissar und Spurensicherung und all das, nur wegen einem Hundeskelett aufgekommen war. Er überlegte. Er überlegte lange. Wenn er das pressemäßig richtig lancierte, dann konnte das was werden. Zumindest für die örtliche Presse. Die gruben hier nach Knochen, vermuteten einen Toten, ja, einen Mord, und letztendlich war es Hasso. Eines natürlichen Todes gestorben, irgendwann Anfang der sechziger Jahre.
Einem mehr oder weniger natürlichen Tod würde auch dieser Klopfer entgegensehen, dachte Gerda Schickle, wenn sie nicht bald einen Schlüssel zu dieser Christuskirche auftreiben konnte. Aber wie sollte sie den Pfarrer finden?, fragte sie sich. Sie stand erneut vor der Christuskirche, und ihre Dienstzeit neigte sich dem Ende zu.
Die Polizei, fiel es ihr ein, natürlich, die waren doch für solche Fälle der richtige Ansprechpartner. Sie würde das melden und dann die Sache der Staatsmacht überlassen. Entschlossen ging sie wieder in das Ladengeschäft, wollte eben den Telefonhörer mit der Bemerkung: »Notfall« in die Hand nehmen, da griff der Geschäftsführer rüde ein: »Aber nicht zwei Mal!«
Gerda war entsetzt. Sollte sie sich erklären, sollte sie sich rechtfertigen vor diesem Menschen, der offensichtlich jenseits jeder menschlichen Kultur war? Sie hatten in der letzten Fortbildung ähnliche Situationen geübt, und es war dort klar gesagt worden, wenn Gewalt, dann auch Gegengewalt. Verstanden hatte sie das nicht, und auch ihr Pfarrer, Pfarrer Leonhard übrigens, hatte das später nicht gutgeheißen. Wange hin, Wange her. Er meinte, das sei halt Altes Testament. Nur jetzt, was machen, Bauch oder Kopf?
Sie entschied sich für Bauch, hielt das für die leichtere Linie und rammte dem Geschäftsführer das Knie in die Weichteile. Der sackte zusammen und schlug denkbar unglücklich mit dem Kopf am Tresen auf. Ein Fall für den Notruf, ganz klar, dachte Gerda.
Der Notarzt war schnell zur Stelle. Grund war der hiesige Großmetzger mit seinen leckeren Leberkäswecken. Dort, so ziemlich in der Mitte zwischen Pfenningen und Beutlingen, hatte der Rettungswagen eine kleine Pause eingelegt, und just als der Notarzt seinen ersten
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