Leberkäsweckle
Reich-, Schön- und Berühmtsein zuschauen. Die da unten sollten endlich aufstehen und Verantwortung übernehmen für die Welt, die er ihnen gegeben hatte.
In dieser Welt, am Georgenberg, beschlossen Alfred und Frieder gerade, den Grund für die beängstigende Stille nach dem beängstigenden Radau herauszufinden.
Alfred öffnete vorsichtig die Tür und schaute hinaus; Frieder blickte ihm über die Schulter. Sie sahen nichts. Der Hang war leer, kein Jugendlicher mehr zu sehen. Was ihnen allerdings sofort auffiel, das war der sehr strenge Geruch, der vor allem Frieder an einen seiner Artikel über die örtlichen Kläranlagen erinnerte.
»Worum stinkt’s denn hier so?«, fragte Alfred und hielt sich die Nase zu.
»Keine Ahnung«, sagte Frieder und drängte den Freund nach draußen. Sie gingen ein paar Schritte den Hangweg hinunter. Die Eimer standen noch vereinzelt herum, aber von den Jugendlichen war nichts mehr zu sehen. Wo waren sie auf einmal alle hin?, dachte Frieder. Klar, es war inzwischen mitten in der Nacht, aber für diese jungen Menschen ging es da doch erst richtig los.
Auch Alfred grübelte. Was war hier passiert? Aber durch Nachdenken allein kann man nicht allem auf den Grund gehen. Und so sorgte eine kleine, eher unbedachte Aktion für die Erklärung oder eher für einen Erklärungsansatz. Denn als Alfred grübelte und sein Blick in die Weite des Nachthimmels ging, setzte er unwillkürlich einen Fuß vor den anderen. Und rutschte weg.
Halt war von Frieder nicht zu erwarten, denn auch der schliff gerade mit Karacho den Hang hinunter. Hatte es Frost gegeben, mitten im September?, fragte er sich noch verwundert.
Alfred war der Situation näher, denn er lag schon längsseits am Hang und hielt sich die Hand vor die Nase.
»Scheiße!«, rief er. »Frieder, des isch Scheiße, dia hend da ganza Hang verschissa!«
Frieder wollte es erst nicht glauben. Als dann aber sein Abstieg in einer Bauchlandung endete, konnte auch er sich ein Bild machen beziehungsweise sich eine Nase reinziehen. Er lag sozusagen mitten in der Scheiße.
»Mann!«, rief er aus. »Was für eine Sauerei!«
Er stand auf, wischte sich die Hände an den Hosen ab und suchte seine Taschenlampe, die er im Fallen verloren hatte. Er fand sie, und zusammen mit Alfred schaute er sich die Lage an. Alfred hatte recht: Frieder konnte sich zwar nicht vorstellen, was hier passiert war, aber sein Gütle und die Wiese darunter am Hang waren, ihm fiel kein besserer Ausdruck dafür ein: vollgeschissen.
»Igitt«, sagte Alfred.
»Pfui Deibel!«, meinte Frieder.
»Was isch denn dohanna bloß bassiert?«, fragte Alfred.
»Keine Ahnung.« Frieder schaute sich um. »Keiner mehr da. Wo sind die denn alle?«
Diese »Alle« hielten das Beutlinger Krankenhaus ganz schön auf Trab. So etwas hatten die Schwestern und Ärzte noch nicht erlebt. Der Geruch zog sich durchs Haus und über die Korridore hinein in die Zimmer. Die meisten der Jugendlichen, die die Klinik noch erreicht hatten, wurden ins Wartezimmer der Notaufnahme geschickt. Die Toiletten im Haus waren allesamt besetzt, und das Wartezimmer konnte man guten Gewissens keinem der weiteren Neuankömmlinge empfehlen. Inmitten des umhereilenden Personals stand Dr. Sommerwagen und versuchte, den Überblick zu behalten. Wobei das eine Übertreibung war, denn mit Müh und Not behielt der Doktor die Lage im Blick, von über konnte nicht die Rede sein.
Nur Willi Schirmer konnte der Situation etwas Gutes abgewinnen. Offensichtlich hatten seine Wundertropfen ganze Arbeit geleistet. Er bog um die nächste Ecke und hatte eine Erscheinung. Vor ihm stand ein Mann mit einer merkwürdigen Konstruktion in der Mitte, der sich vorsichtig an der Wand entlangtastete. So etwas hatte Schirmer noch nie gesehen. Der Mann stammelte etwas von Wasser und Tabletten. Ganz in der Nähe stand ein Wasserspender. Schirmer entschied, dem Mann zu helfen. Er musste sowieso noch seine Tropfen einnehmen, das hatte er in der ganzen Aufregung vergessen. Ein bisschen hatte er noch übrig. Er füllte also zwei kleine Becher, tropfte in einen zwei seiner Verdauungstropfen und ging zurück zu dem Mann. Als er bei ihm ankam, war er sich plötzlich nicht mehr sicher, welcher Becher nun die Tropfen enthielt. Er tippte auf den linken und reichte ihn dem durstigen Mann.
Einzelhändler Millreiner, denn um den handelte es sich, nahm dankbar an und wankte unter dem staunenden Blick von Schirmer zurück in sein Zimmer. Na bitte, dachte Schirmer, er
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