Leberkäsweckle
nicht einfach, so als Gott, dachte Gott. Wenn er so einer wäre, dann hätte er die Verantwortung, dann wäre er es, der für alles dort unten geradestehen musste. Zusammen mit seinen Kollegen Jahwe, Buddha, Allah und dem alten Zeus sowie einigen von den kleineren alten und jüngeren Göttern. Von wegen nur ein Gott! In der Gottesrunde saßen sie regelmäßig beisammen und besprachen sich. Es ging doch jedem gleich. Das Gottsein, da waren sie sich einig, war nicht mehr das, was es mal gewesen war. Er war gespannt auf das nächste Treffen, aber jetzt wollte er sich wieder Pfarrer Leonhard zuwenden, dessen Verzweiflung ihm ins Gesicht geschrieben stand.
In ähnlich verzweifelter Stimmung war auch Frieder Kötzle, als er zuerst den Garten und dann das Haus nach seiner Frau absuchte. Im Garten Fehlanzeige, im Haus ebenso. Ihr sogenanntes Zimmerchen sparte er sich bis zuletzt auf. Das war ihr Refugium, praktisch genauso heilig wie ihr Blumen- und Gemüsebeet. Dort würde sie sicherlich in ihrem Sessel sitzen und beleidigt sein.
Als er aber dann die Tür nach mehrmaligem dezenten Klopfen öffnete, saß keine Barbara beleidigt im Sessel. Und jetzt fragte er sich: Wo um alles in der Welt war diese Frau hin? Er überlegte. Die Freundinnen vielleicht? Unwahrscheinlich, denn Barbara war keine Frau, die in einer solchen Situation eine Schulter zum Weinen brauchte. Bei den Kindern? Das war auch kaum denkbar, denn Barbara hatte zwar ihren eigenen Kopf, war ihm gegenüber aber immer loyal gewesen.
Vielleicht, fiel ihm dann ein, war sie zu Pfarrer Leonhard gegangen, das könnte möglich sein. Sie war ja eine regelmäßige Kirchgängerin, er eher sporadisch. Womöglich suchte sie in der Kirche Trost, saß in einer Bank und betete. Er hielt das für die wahrscheinlichste Variante und machte sich mit seinem Fahrrad auf zur Christuskirche. Auf dem Weg würde er noch schnell bei Alfred vorbeischauen, schließlich war dessen Klara eine gute Freundin von seiner Barbara, dann konnte er mit Alfred reden und die Klara als möglichen Anlaufpunkt ausschließen. Also radelte er los.
Sein Rad würde er richten müssen, dachte Alfred, der dabei war, sein Haus zu betreten. Und er würde mit der Klara reden wegen dem Streifenwagen. Das brauchte aber den richtigen Moment. Denn schließlich war er es gewesen, der den Wagen in angeheiterter Stimmung in ihre Garage gefahren hatte.
Aber, wie er feststellen musste, war die Klara nicht da. Alfred erinnerte sich noch an eine Bemerkung am Morgen: die Beerdigung. Genau, heute wurde doch diese durchgeknallte alte Lesbe unter die Erde gebracht – Alfred hatte keinen Sinn fürs Gleichgeschlechtliche.
Da konnte er sich in aller Ruhe im Keller ein kaltes Bier holen und mit der Fahrradinstandsetzung beginnen. Genauso setzte er es in die Tat um: Er holte das Bier aus dem Keller und das Fahrrad aus der Garage und hockte sich in die herbstliche Nachmittagssonne in den Hof. So konnte man arbeiten, dachte er.
Das wären die Worte von Kommissar Knöpfle nicht gewesen. So konnte man eben nicht arbeiten. Das hatte er Schirmer gesagt, der mal wieder nach einer langen, um nicht zu sagen sehr langen Mittagspause gegen fünfzehn Uhr das Revier betrat. Er hatte sich ein wenig aufgeregt, denn die stoische Ruhe, mit der Schirmer seinen dienstlichen Alltag verrichtete, nahm allmählich Formen an, die er nicht mehr tolerieren konnte. Genau das hatte er Schirmer auch gesagt und war gespannt, was dieser darauf zu erwidern hatte.
»Eba«, sagte der nur und zog sich in sein Amtszimmer zurück.
Das schlug dann doch dem Fass den Boden aus, dachte Knöpfle, wusste aber genau, dass er mit einer weiteren Diskussion auch nichts erreichen würde. Er musste hier raus, in die Stadt, unter Leute, unter Menschen, mal ohne Schirmer sein. Kurz entschlossen stand er auf, schob seine Dienstwaffe ins Halfter und zog sein Jackett an. Er würde Pfarrer Leonhard einen Besuch abstatten und sich nach diesem Calzone-Gottesdienst erkundigen. Vorher aber würde er sich den Vorabdruck dieses Krimis ansehen.
Wenn Pfarrer Leonhard diesen Vorabdruck schon gelesen hätte, dann wäre ihm die Situation, die ihn im Augenblick beschäftigte, vergleichsweise als Lappalie vorgekommen. Wenn er da schon gewusst hätte, in welchem Licht ihn die Bürger Pfenningens und vor allem seine Gemeindeglieder sahen, dann wäre ihm wahrscheinlich alles egal gewesen. Wenn er dann auch noch der Plakate im Ort ansichtig geworden wäre, die einen Calzone-Gottesdienst mit ihm
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