Lebkuchen und Bittermandel
du bist der Boss«, gab sich Paul geschlagen. »Lass deine Leute danach suchen! – Und was machen wir in der Zwischenzeit?«
Katinka musste nicht lange nachdenken: »Wir fühlen Jan-Patrick auf den Zahn und lassen uns von ihm erklären, wie er seine Lebkuchen herstellt – und bei welcher Gelegenheit jemand Gift in den Teig mischen konnte.«
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»Es gibt sie ja in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Geschmacksrichtungen«, leitete Paul das Gespräch mit dem misstrauisch dreinblickenden Küchenchef behutsam ein. »Mit und ohne Mehl, mit Schokolade oder Zuckerguss überzogen oder ganz Natur: Der original Nürnberger Oblaten-Lebkuchen gehört zum Weihnachtsfest wie Christbaumkugeln, Glühwein und Nordmanntanne …«
Jan-Patrick seufzte theatralisch auf. »Musst du unbedingt alte Wunden aufreißen?«
»Ups, Verzeihung«, sagte Paul. »An deinen geklauten Weihnachtsbaum habe ich gar nicht mehr gedacht.«
»Kürzen wir die Sache ab«, übernahm Katinka wieder das Kommando. »Wir möchten, dass du uns in die Herstellungsprozedur deiner Lebkuchen einweihst. Das ist wichtig für die Ermittlungen.«
»Eigentlich lasse ich mir nicht in die Töpfe schauen«, wehrte der kleine, quirlige Küchenmeister ab.
»Uneigentlich aber schon«, blieb Katinka beharrlich.
Wortlos führte Jan-Patrick seine ungebetenen Küchengäste zu einer großen, klobigen Rührmaschine, in der noch ein Rest des Teiges enthalten war. Paul beugte sich über den voluminösen Bottich, woraufhin verschiedene angenehme Gerüche in seiner Nase kitzelten. Ein betörender Duft von zerkleinerten Mandeln lag in der Luft, gepaart mit süßlichen Noten von Zimt, Anis, Kardamom und Koriander.
An der Gewürzstation, nur zwei Schritte weiter, intensivierten sich die Gerüche. Paul erschnupperte Zucker, Orangeat und Haselnüsse.
»Wir bekommen unsere Nüsse und Mandeln im Ganzen«, erläuterte Jan-Patrick, »und müssen sie selbst mahlen und rösten.« Nun deutete er auf ein flaches Holzbrett, auf dem in gleichmäßigen Abständen Oblaten aufgereiht worden waren. »Auch das Aufbringen der fertigen Lebkuchenmasse auf die Oblaten, das sogenannte Streichen, übernehmen wir noch selbst. In den Fabriken läuft das natürlich längst alles maschinell.«
Als Nächstes führte der Koch sie zu einem monströsen Gebilde, das für die beengte Küche völlig überdimensioniert wirkte. Jan-Patrick öffnete eine kleine Klappe in der riesigen Ofenwand. Wie Katinka und Paul erfuhren, buken die braunen Teiglinge laut Rezept bei 200 Grad Hitze. »Ich gebe den Lebkuchen aber lieber ein bisschen weniger Hitze, dafür ein paar Minuten mehr Zeit im Ofen. Das muss man halt im Gefühl haben.«
Zuletzt gelangten sie zu einem weiteren Holzbrett auf einer Arbeitsplatte. »Wenn die Lebkuchen ausgekühlt sind, machen wir uns ans Veredeln«, erklärte Jan-Patrick. »Wir überziehen sie mit flüssiger Schokolade oder Zuckerguss und verzieren sie mit Mandelspalten.« Der Küchenmeister reichte beiden ein Probierstückchen, an dem Katinka und Paul zunächst prüfend rochen, bevor sie hineinbissen. »Noch besser sind sie natürlich, wenn man ihnen Zeit zum Reifen lässt, denn Lebkuchen isst man normalerweise ja nicht frisch. Einige Tage, besser noch ein paar Wochen, sollten sie vor dem Verzehr lagern. Aber wie ich sehe, schmecken sie euch auch jetzt schon.« Jan-Patrick hob den Blick und sah Katinka herausfordernd an: »Wenn – und ich betone das Wörtchen ›wenn‹ – der Mörder tatsächlich einen meiner Lebkuchen hier in meiner Küche mit Gift versetzt hat, dann kann er das nur an dieser letzten Station getan haben. Als wir uns alle gemeinsam ans Eindecken des Büfetts gemacht haben, war Marien noch mit der Veredelung beschäftigt gewesen. In dem Trubel und der Hektik und bei all den Leuten, die sich in der Küche aufhielten, hätte jemand mit bösen Absichten das Gift in den Zuckerguss mischen können.« Er hob die Brauen, als er skeptisch hinzufügte: »Allerdings: Wenn das Zeug im Zuckerguss war, müssten ja mehrere Lebkuchen vergiftet worden sein. Und der Zuckerguss braucht ja auch eine Weile, bis er trocknet …«
Diese Einschränkung focht Katinkas Überzeugung nicht an: »Dann hat der Mörder eben einen bereits fertigen Lebkuchen bearbeitet, zum Beispiel mit einer kleinen Spritze. Das finden wir schon noch heraus.« Sie nickte langsam und mit nachdenklicher Miene. »Ja, bei all der Hektik und den vielen Leuten in der Küche könnte es sich genau so zugetragen haben.
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