lebt gefaehrlich
Erleichterung:
Mrs. Pollifax hatte Dr. Belleaux zu Unrecht verdächtigt, und Dr. Belleaux war hierher gefahren, um ihr das zu sagen. Und dann mußte Colin erkennen, daß er sich doch geirrt hatte.
Wenn alles mit rechten Dingen zuging, konnte Dr. Belleaux ja gar nicht wissen, daß sie nach Yozgat gefahren waren. Colin schlug die Augen nieder. Er sah die Zeitung, die Dr. Belleaux so unnatürlich in der Hand hielt, und erriet, daß er darunter eine Waffe versteckte.
Colin fürchtete schon, sich übergeben zu müssen. Wie angewurzelt blieb er auf der untersten Stufe des Autobusses stehen. Die Fahrgäste hinter ihm beschwerten sich bereits, daß er den Ausgang versperrte.
Dadurch erst wurde Dr. Belleaux auf ihn aufmerksam. Er drehte sich um und bemerkte Colins fassungslosen Blick. Schroff befahl er ihm in türkischer Sprache, seines Weges zu gehen. Colin erinnerte sich daran; daß er ja verkleidet war. Dr. Belleaux schien ihn nicht erkannt zu haben. »Evet, evet«, stotterte er, stieg aus dem Bus und überquerte die Straße.
Dort blieb er stehen, weil er nicht wußte, wohin er gehen sollte.
Deutlich wurde ihm klar, daß Mrs. Pollifax, Magda und Sandor eben in Gefangenschaft geraten waren. Das bekümmerte ihn sehr, und er fand es nach allem, was sie durchgemacht hatten, auch ungerecht.
Flüchtig überlegte er, ob er die Polizei alarmieren sollte. Dann aber fiel ihm ein, daß ihm die konventionelle Art der Beschwerde verschlossen war, seit er sich mit Mrs. Pollifax verbündet hatte. Scheußliche Situation! Es gab keinen Menschen, der hier helfen konnte - abgesehen von ihm selbst. Und er war völlig machtlos. Er sah, daß Dr. Belleaux den Arm hob und einem Mann zuwinkte, der in einem parkenden Wagen saß. Der Fahrer nickte, wendete und fuhr an den Autobus heran. Über das Wagendach hinweg sah Colin die Köpfe seiner drei Freunde, als sie ins Auto stiegen. Dann fiel der Wagenschlag zu. Das Auto fuhr los und bog in die Straße ein, an der Colin stand. Es fuhr ganz dicht an ihm vorbei, aber da im Fond die Jalousien heruntergelassen waren, sah er nur den Fahrer. Und das war Stefan.
In diesem Augenblick begriff Colin, daß seine Freunde nun endgültig aus seinem Leben verschwanden. Nie würde er erfahren, wohin man sie gebracht hatte. Die Vorstellung war ihm noch unerträglicher als sein Schreck.
Er besah sich die Umstehenden. Es waren steinalte Männer, zum Teil dösten sie auf den Bänken im Schatten vor sich hin. Eine Frau fegte lustlos mit einem Reisigbesen die Straße. Ein Junge zerrte an einem Packesel. Der Fahrer des Autobusses belud das Vehikel mit einem Sack, der Post zu enthalten schien. An der Ecke des Platzes sah Colin ein kleines Cafe. Auf einem Schild stand CIKOLATA - SIGARA - KOKAKOLA. Sein Blick fiel auf drei alte, staubige Fahrräder, die an der Mauer lehnten. Ihre Besitzer waren offenbar im Cafe. Dr. Belleaux' Wagen war eben in die Straße daneben eingeschwenkt und wirbelte eine dichte Staubwolke hinter sich auf.
Ohne zu überlegen rannte Colin über die Straße, riß eines der Fahrräder an sich, setzte sich auf und fuhr wie besessen die Straße entlang, in die der schwarze Wagen eingebogen war. Man schrie ihm nach, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern trat noch fester in die Pedale. Der Wagen verbarg sich hinter einer Staubwolke, die Colin am Atmen hinderte.
Er hörte, daß er verfolgt wurde, aber das wütende Protestgeschrei hinter ihm störte ihn nicht. Er fuhr an niederen Steinmauern vorbei, an einem staubigen Weingarten und bescheidenen Häuschen mit abblätterndem Verputz. Dann endete das Pflaster, und er sah sich vor zwei Sandstraßen. Unschlüssig hielt er an. In diesem Augenblick erreichte ihn der Verfolger, der am dichtesten hinter ihm war. Es war ausgerechnet ein Mädchen, das ihn sofort wütend auf Türkisch beschimpfte.
In seiner Ratlosigkeit schrie er englisch zurück: »Ich kann Sie nicht verstehen! Ich verstehe kein Wort!«
Unverändert ergoß sich die Sturzflut von Worten über ihn. Dann plötzlich brach das Mädchen mitten im Satz ab. »Aber Sie sprechen ja englisch! Sie sind kein Türke!«
»Ich bin Engländer, und ich habe meine Freunde verloren. Sie sitzen in dem schwarzen Wagen, der hier entlanggefahren ist, und es tut mir schrecklich leid, daß ich ihr...« Jetzt erst brach auch er ab. »Na, so etwas - Sie sprechen ja auch englisch!«
Ungeduldig erwiderte sie: »Ich gehe in Istanbul aufs College. Aber was treiben Sie in diesem Aufzug? Sind Sie Soziologe, der unser
Weitere Kostenlose Bücher