Lee, Julianne
keinen Priester haben, können sie ohnehin wenig Schaden anrichten. Es sind vor allem die Priester, die die Lehren dieser so genannten Religion überall verbreiten. Wenn ich jemand mit einem Rosenkranz ertappe, werde ich ihn beschlagnahmen, aber darüber hinaus kann ich wenig tun.«
Leah verstummte, während ihre Gedanken um Kruzifixe, Weihwasser und wilde Männer in Röcken kreisten, die sich bekreuzigten und auf Lateinisch zu Heiligen beteten, deren Namen sie noch nie gehört hatte.
Diese Nacht verbrachte die Kompanie in Zelten, die am Fuß eines steilen Felshanges aufgeschlagen wurden. Eine andere Unterkunft war nicht zu bekommen gewesen. Die Pritsche, auf der sie schlief, war hart, die Luft eisig kalt. Leah zitterte erbärmlich unter ihren dünnen Decken und sehnte sich nach einem richtigen Bett.
Am nächsten Tag legten sie den bei weitem gefährlichsten Teil ihrer Reise zurück. Langsam und vorsichtig ritten sie einen langgezogenen, steilen Berghang empor, der an einer Seite fast senkrecht in die Tiefe zu fallen schien. Die Hufeisen klapperten auf dem glatten Stein. Ständig drohte eines der Pferde auszugleiten, und ein Sturz hätte für Reiter und Pferd den sicheren Tod bedeutet. Danach überquerten sie weitläufige Sumpfgebiete, die die Männer zwangen, hintereinander zu reiten und zu hoffen, dass das vorderste Pferd nicht vom sicheren Weg abkam und im Morast versank.
Endlich gelangten sie auf einen breiten, befestigten Weg, der plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen schien. Bald zeigte sich, dass hier die ausgetretenen Reisepfade aus allen möglichen Richtungen zusammenliefen. Der Weg führte durch eine schmale Schlucht zwischen zwei sehr steilen Bergen. Leah bekam es mit der Angst zu tun. Sie konnte kaum noch atmen, als sich die mächtigen Steinhänge fast über ihr zu schließen drohten. Fieberhaft überlegte sie, wie es möglich war, dass Menschen freiwillig in dieser Wildnis lebten. Tiefe Erleichterung überkam sie, als vor ihr in der Ferne die Garnison auftauchte. Ansonsten war kein anderes Gebäude zu sehen.
»Vater, hast du nicht etwas von einer Burg gesagt?«
Er gab keine Antwort, sondern winkte seinen Leutnant zu sich, um ihm einige Befehle zu geben. Leah hörte zu. Niemand achtete auf sie. Sie hätte genauso gut nicht existieren können. Der Großteil der Truppe sollte sich beim Garnisonskommandanten melden und ihm miteilen, dass er am nächsten Morgen von Captain Hadley abgelöst werden würde. Der Erste Leutnant, ein paar Gemeine und die Leibdiener des Captains nebst Packpferden sollten ihn zur Burg begleiten, wo er Quartier für sich und seine Tochter verlangen würde. Der Leutnant salutierte und ritt davon. Der Captain wandte sich an Leah. »So, Tochter, jetzt bringe ich dich zu unserem neuen Heim.«
Leah wurde das Herz schwer. Für einen Augenblick hatte sie
vergessen, dass sie auf Dauer hier bleiben würden, und nun wurde sie jäh daran erinnert, dass sie England lange, lange Zeit nicht wieder sehen durfte. Sie kam sich vor, als sei sie in eine Falle aus schroffen, steilen Granitbergen geraten. Mehr denn je sehnte sie sich nach der Heimat zurück.
Direkt hinter der Garnison stand eine alte Kirche, der Bauart und den vielen Verzierungen nach zu urteilen eine katholische Kirche. Engelsfiguren standen in Wandnischen, Heiligenfiguren starrten sie an. Leah betrachtete das Gebäude fasziniert.
»Vater, wie kommt es, dass diese Kirche nicht abgerissen wurde?«
Auch Roger Hadley musterte das Gebäude mit einem Ausdruck tiefen Abscheus. Seine Züge verhärteten sich. »Dieses Tal bildet so eine Art letztes Bollwerk der Papisten. Es liegt zu abgelegen, um von der Zivilisation beeinflusst zu werden, und die Bewohner haben sich geweigert, sich zum wahren Glauben bekehren zu lassen. Noch nicht einmal diese übereifrigen Covenanter sind je bis hierher vorgedrungen.«
Während sie an der Kirche vorbeiritten, spukten Leah Bilder von Katholiken im Kopf herum, die Menschen auf Scheiterhaufen verbrannten. Unfassbar, dass es in Britannien noch immer Anhänger dieser barbarischen Religion gab.
Vor ihnen erstreckte sich ein langgezogenes, schmales Tal. Niedrige Katen duckten sich in die Landschaft. Die wenigen Menschen, die sie erblickte, huschten beim Anblick der englischen Uniformen eilig davon, obgleich die Truppe nur klein war. Auch die zerlumpten Dorfbewohner, die auf der Straße miteinander schwatzten, verschwanden hastig in ihren umliegenden Häusern. Als Leah und die Soldaten über den
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