Lee, Julianne
Röte zog sich bis zum Hals hinunter. »Indisponiert ... So kann man es auch sagen. Mein Vater ist vor kurzem gestorben. Ihr müsst schon mit mir vorliebnehmen.«
»Und Ihr seid...«
»Ciaran Robert Matheson von Ciorram.« Weder lächelte der Mann, noch bot er ihrem Vater die Hand zum Gruß. Leah runzelte die Stirn. Wie konnte er es wagen, Vater vor seinen Leuten derart bloßzustellen?
Doch ihr Vater blieb unverändert ruhig und gelassen. »Nun gut, Ciorram. Ich bin Captain Roger Hadley, und ich habe eine Kompanie Dragoner mitgebracht, die die in der Garnison dieses Tales stationierten Soldaten ablösen wird. Ich verlange ein Quartier für mich und meine Tochter. Möglichst rasch, wenn es geht, denn Leah hat eine lange Reise hinter sich und ist erschöpft. Und lasst ihr sofort eine warme Mahlzeit servieren.«
Die blauen Augen verdunkelten sich vor Wut, und ohne sie eines Blickes zu würdigen erwiderte der Laird: »Einen Teufel werde ich...« Doch mitten im Satz brach er ab, starrte einen Moment lang ins Leere und richtete den Blick dann auf die Stiefel ihres Vaters. Dann sah er wieder auf und sagte so mürrisch, als habe er soeben gegen seinen Willen seine Meinung ändern müssen: »Eine Magd wird für Euch gleich zwei Kammern herrichten.« Er wirkte immer noch abweisend, aber seine Stimme klang nicht mehr ganz so feindselig.
Ciorram hob das Kinn und sah ihrem Vater so fest in die Augen wie jener junge Bursche vor drei Tagen auf der Straße, und nun fiel Leah auch die Ähnlichkeit zwischen den beiden auf. Vielleicht waren sie Brüder? Dieser Mann schien jedenfalls nicht alt genug, um der Vater des Jungen zu sein. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Niemand war ihrem Vater je so respektlos begegnet. Seine Untergebenen pflegten zu salutieren, wenn er vorüberging, und jeden seiner Befehle widerspruchslos auszuführen. Noch nicht einmal Vaters Vorgesetzte bedienten sich eines so unverschämten Tones wie dieser Matheson mit seinen blo-
ßen Knien, dem grob gewebten Hemd und den ungekämmten Haaren.
Ohne ein weiteres Wort machte der junge Laird auf dem Absatz kehrt, ging in die große Halle zurück und ließ seine Gäste in der einsetzenden Dunkelheit auf dem Burghof stehen. Leah sah ihm voller Widerwillen nach. Trotzdem musste sie bei sich zugeben, dass sie diesen Mann ungeheuer faszinierend fand.
Ciaran schäumte vor Wut, als er in die Halle zurückkehrte und es Eóin überließ, sich um die Unterbringung der Eindringlinge zu kümmern. Er bedachte die Sassunaich mit allen gälischen Schimpfworten, die er kannte, ehe er ein paar englische Obszönitäten folgen ließ. Sinann flatterte hinter ihm her. Ciaran ließ sich auf den vor dem Feuer stehenden Stuhl seines Vaters fallen und starrte blicklos in die Flammen. Der Hass auf die Engländer fraß ihn fast auf, und das Letzte, was er wollte, war, sie hier in der Burg ständig am Hals zu haben. Wenig später setzte sich Eóin zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die Nachricht, dass sich ein Offizier der Rotröcke und eine Engländerin in der Burg einquartiert hatten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und ständig kamen Dienstboten herein, um sich neugierig umzuschauen. »Das ist eine glückliche Fügung«, piepste Sinann. Ciaran drehte sich wütend zu ihr um. »Ganz und gar nicht!« »Wie bitte?«, fragte Eóin verwirrt.
Ciaran achtete nicht auf ihn, richtete den Blick aber wieder auf das Feuer statt auf die Fee, die für Eóin unsichtbar war. Endlich murmelte er: »Ich würde sie lieber umbringen als zuzulassen, dass sie mein Heim mit ihrem englischen Gestank vergiften.«
Eóin erwiderte ruhig: »Aber du kannst nichts gegen sie unternehmen.« Sarahs ältester Sohn war sieben Jahre älter als Ciaran, eigentlich nur ein Vetter dritten Grades, stand aber Ciaran so nahe wie ein leiblicher Bruder, und Ciaran legte großes Gewicht auf seine Meinung. Mit gedämpfter Stimme - falls einer der rotberockten Eindringlinge etwas Gälisch verstand und seine Worte mitbekam - zischte er: »Wie kannst du so etwas sagen? Sie haben deinen Vater ermordet! Du hast es mit eigenen Augen mit angesehen.«
»Aber wenn du ihren Befehlen nicht Folge leistest, Vetter, dann werden sie dich toten.«
»Er sagt die Wahrheit, mein Freund«, stimmte Sinann zu. Ciaran warf ihr einen bösen Blick zu, doch sie fuhr ungerührt fort »Es gibt da etwas, was du noch nicht weißt. Hast du dir den Gobelin im Büro des Lairds - in deinem Arbeitszimmer - einmal genau angesehen? Darauf
Weitere Kostenlose Bücher