Lee, Julianne
weise und gerecht geurteilt, was er sich nicht zutraute, und Calums kaltes Lächeln trug noch zu seiner Unsicherheit bei. Es war klar, dass sein Bruder dachte, er maße sich Rechte an, die ihm nicht zustanden. Insgeheim stimmte Ciaran ihm zu, aber ihm blieb keine andere Wahl, als ins kalte Wasser zu springen.
Die bedrohliche Gegenwart von Hadleys Dragonern verstärkte die Spannung im Raum noch.
Robin, der ihm wie zuvor seinem Vater als fear-còmnaidh diente, stand, auf seinen Stab gestützt, neben dem Stuhl des Lairds und bat um Ruhe. Das Gemurmel in der Halle verstummte. Ciaran sah, wie sich seine Clansleute vorbeugten. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er konnte die Zweifel darin lesen. Spürte sie geradezu. Sie setzten Hoffnungen in ihn, die er vielleicht nicht erfüllen konnte.
Sein Magen zog sich zusammen, doch sein Gesicht verriet nicht, was er empfand. Unbehaglich rutschte er auf dem Stuhl seines Vaters hin und her... nein, auf seinem Stuhl. Dieser Platz gebührte jetzt ihm. Als ihm dies bewusst wurde, schöpfte er plötzlich neuen Mut. Er war der Laird, dies war sein Stuhl, und es war an ihm, für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. In diesem Tal würde nichts ohne seine Zustimmung geschehen. Seine Leute brauchten ihn, das hatte ihm sein Vater stets eingeschärft.
Als er den ersten Fall aufrief, hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen. Die leichte Übelkeit war verflogen, und sein Blick flackerte nicht mehr. Er musste seinen Leuten beweisen, dass in Glen Ciorram auch weiterhin alles seinen gewohnten Gang gehen würde.
Robin beugte sich zu ihm und setzte ihn über die Einzelheiten des Falles ins Bild. Ciaran hörte aufmerksam zu. Anna Campbell Matheson, die Tochter Keith Ròmachs, Enkelin des Zimmermanns Owen Brodie und Frau Gregor Mathesons, wurde des Diebstahls beschuldigt. Ciaran wusste über den Vorfall Bescheid, das ganze Dorf hatte darüber geklatscht, und er wusste auch, dass Anna schon früher Diebstähle begangen hatte. Sie war höchstwahrscheinlich schuldig, trotzdem forderte er jetzt die Anklägerin auf, den Fall zu schildern.
Die Schneiderin Iseabail Matheson, Colin Mathesons Tochter, stand mit hochrotem Gesicht auf und sah aus, als wolle sie Anna jeden Moment an die Gurgel fahren. »Sie hat mir ein großes Stück Stoff weggenommen und nicht dafür bezahlt.«
»Das ist eine Lüge! Ich habe ihn bezahlt!« Anna verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihre Widersacherin grimmig.
»Das hast du nicht!«
»Ich habe dir das Geld auf den Tisch gelegt!« »Ich habe kein Geld gesehen. Kein einziges Silberstück, noch nicht einmal eine Kupfermünze.« »Es lag auf dem Tisch. Du konntest es gar nicht übersehen.« Die Schneiderin stemmte die Fäuste in die Hüften, beugte sich vor und wiederholte so langsam, als spräche sie zu einer Schwachsinnigen: »Ich. .habe, .kein ... Geld ... gesehen.« Einige der Zuhörer kicherten leise. »Ruhe!«
Alle Anwesenden verstummten und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ciaran. Dieser fuhr fort: »Anna, wieviel Geld hast du auf Iseabails Tisch gelegt?«
»Fünf englische Shilling.«
Das löste neuerliches Gemurmel aus. Ciaran hob die Brauen und beugte sich vor. »Fünf Shilling, sagst du. Und wo hast du so viel Geld her?«
»Ich brauchte es.« Anna deutete auf die Schneiderin. »Ohne das Silber hätte sie mir den Stoff nicht gegeben. Das ist Wucher!«
»Ein paar armselige Eier hast du mitgebracht...«
»Iseabail!« Die Schneiderin schwieg. Alle Augen richteten sich wieder auf den Laird. »Anna, du hast meine Frage nicht beantwortet. Wo hast du so viel Silber her?«
Gregors Frau zögerte einen Moment und blickte sich unschlüssig im Raum um. Man sah ihr an, dass sie fieberhaft nach einer glaubwürdigen Lüge suchte. Endlich erwiderte sie: »Ich habe es gespart.«
»Gespart? Wovon denn?« Ciaran stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und faltete die Hände.
Nach einer weiteren Pause erklärte Anna trotzig: »Ich brauchte den Stoff wirklich dringend.«
»Aber du hast ihn nicht bezahlt.«
Tränen traten in ihre Augen. »Sie wollte ihn mir nicht geben, diese Hexe.«
Ihr kindisches Benehmen ärgerte Ciaran. »Natürlich nicht«, sagte er scharf. »Sie verkauft ihre Stoffe, weil sie von dem Erlös lebt Du bist eine Diebin.«
»Ciaran!«
Der Laird runzelte die Stirn. »Anna, überlege dir gut, was du jetzt sagst« Anna senkte den Kopf, und er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ehe er fragte: »Kannst du den Stoff zurückgeben?«
Sie
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