Lee, Julianne
verschränkte die Arme vor ihrer schmalen Brust und
stieß einen angewiderten Grunzlaut aus. »Du bist genau wie dein Vater!«
Das traf einen wunden Punkt. Ciaran warf das Buch in die Kiste zurück und fuhr Sinann ärgerlich an: »Dann werde ich eines Tages eine Frau heiraten, die ich ebenso sehr liebe, wie er meine Mutter geliebt hat. Und bis dahin möchte ich nichts mehr darüber hören!« Heiße Röte stieg in seine Wangen, er sprang vom Bett, griff nach seinem Mantel und verließ die Kammer.
Hastig stieg er die Treppe zur Brustwehr hinauf, um ein paar Minuten in Ruhe und Frieden nachdenken zu können. Die Fee mochte den Wind dort oben nicht, er erschwerte ihr das Fliegen, daher würde sie ihm also nicht dorthin folgen.
Doch dafür fand er Leah auf der Brustwehr vor. Sie saß in einer Lücke in der Mauer, wo ein paar Steine fehlten, hatte sich fest in einen Umhang gehüllt und die Beine unter den Körper gezogen. Als er sie sah, war es zu spät, um so zu tun, als hätte er sie nicht bemerkt. Langsam ging er auf sie zu.
»Hallo«, sagte er.
»Guten Abend, Ciaran.« Ihr Lächeln schien von Herzen zu kommen, und er konnte nicht anders, als es zu erwidern. Was auch immer gegen Engländerinnen einzuwenden war, diese hier war zweifellos bildhübsch. Ihre Wangen schimmerten rosig, ihre Augen funkelten, und das Grübchen in ihrem Kinn... am liebsten hätte er mit dem Daumen darüber gestrichen.
Er machte Anstalten, seinen Weg fortzusetzen, doch sie hielt ihn zaghaft am Ärmel seines Mantels fest.
»Darf ich Euch etwas fragen?«
»Fragen dürft Ihr, aber ich behalte es mir vor, auf Eure Frage nicht zu antworten.«
Leah stutzte, lächelte jedoch immer noch. »Selbstverständlich. Ich frage mich schon die ganze Zeit... warum ist eine Eurer Haarsträhnen kürzer als die anderen und lässt sich nicht von dem Band zusammenhalten? Ihr habt sie doch bestimmt nicht absichtlich so kurz geschnitten.«
Ciaran musste lachen. »Also um ehrlich zu sein ... genau das habe ich getan.« Er zupfte an der störrischen Locke herum, die ihm ins Gesicht fiel.
»Es steckt also eine Geschichte dahinter.« Sie faltete die Hände im Schoß, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stein und sah ihn erwartungsvoll an.
»Aye, allerdings. Es geschah vor einigen Jahren, als ich mit ein paar jungen Burschen und einer spréidhe auf den Hochweiden war...«
»Einer spréidhe?Was ist das ... eine Viehherde?«
»Aye.« Ihm wurde warm ums Herz, wenn er sie so zufrieden lächeln sah, weil sie einen Begriff richtig gedeutet hatte. »Es gab einen creach...«
»Und das ist... ?«
»Ein... eine Art organisierter Raubzug. Die MacDonells kamen, um unser Vieh von der Weide zu stehlen. Wir wachten nachts auf und ertappten sie auf frischer Tat. Sie waren in der Überzahl, aber uns verlieh die Wut ungeahnte Kräfte. Ich zog meinen sgian dubh...«
»Sgian dubh?«
»Ein kleiner, versteckt am Körper getragener Dolch, eher ein Messer.« Geistesabwesend berührte er den unter seinem linken Arm festgeschnallten Dolch. »Ich griff im Dunkeln an und verletzte einen MacDonell, da bin ich ganz sicher, denn später stellte ich fest, dass meine Hand blutverschmiert war. Getötet habe ich ihn allerdings nicht, denn er drehte sich um und bekam mein Haar zu fassen. Damals band ich es mir noch nicht im Nacken zurück, sondern trug es offen, deshalb hatte er ein leichtes Spiel. Obwohl ich mich nach Kräften zur Wehr setzte, hätte er mir wohl die Kehle aufgeschlitzt, wenn ich mir nicht mit meinem Dolch die Haarsträhne abgeschnitten hätte. Dann ließ ich mich zu Boden fallen und kroch davon. Da er mich im Dunkeln nicht sehen konnte, gab er auf und ergriff zusammen mit seinen diebischen Clansleuten die Flucht. Wir haben in dieser Nacht kein Stück Vieh eingebüßt.«
»Nur eine Locke Eures Haares war zu beklagen.«
Ciaran schnaubte abfällig. »Ein geringer Preis für unser Vieh ganz zu schweigen von meinem Leben.« Er zuckte die Schultern blickte sich um und senkte seine Stimme ein wenig. »Aber ich kann Euch versichern, dass ich mich danach lange Zeit nicht ohne eine wollene Kappe außerhalb meiner Kammer habe blicken lassen.«
Leah kicherte, und weil ihm das gefiel, berührte er leicht seinen Haaransatz. »Fast ein Jahr hatte ich hier nur ein kleines Haarbüschel, das in die Höhe stand. Ich war heilfroh, als es so weit nachgewachsen war, dass es mir wieder in die Stirn fiel.«
»Und jetzt ist es lang genug, um Euch ins Gesicht zu hängen, aber zu kurz, um nach
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