Lee, Julianne
hinten gebunden zu werden.«
»Aye.« Ciaran strich sich die widerspenstige Locke aus der Stirn, die ihm sofort wieder ins Gesicht fiel.
»Habt Ihr nie daran gedacht, eine Perücke zu tragen?«
Ciarans Lächeln erstarb. Er blickte über den See hinaus, dann sagte er leise: »Das ist eine Mode für Lowlandgecken.«
»Für Engländer, meint Ihr wohl.«
Er sah sie an. »Aye, für Engländer.« Er hielt ihrem Blick unverwandt stand, während sie nach Worten suchte.
Endlich fragte sie: »Warum hasst Ihr uns so sehr?« Auch sie sah ihm dabei fest in die Augen.
Vor Überraschung blieb ihm beinahe der Mund offen stehen. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte vielmehr erwartet, sie würde sagen, er denke ganz falsch von ihren Landsleuten. Stattdessen akzeptierte sie seine Meinung und wollte den Grund dafür wissen.
»Das könnt Ihr nicht verstehen«, erwiderte er zögernd.
»Aber ich würde es gerne versuchen.«
Ciaran blickte wieder über den See hinaus. Eine eisige Hand hatte nach seinem Herzen gegriffen. Konnte er es wagen, ihr die Wahrheit zu sagen? Würde sie ihn verstehen? Konnte sie ihn überhaupt verstehen? Einen Augenblick lang wog er ihre möglichen
Reaktionen gegeneinander ab. Als er endlich zu sprechen begann, kostete es ihn große Mühe, verständliche Worte herauszubringen.
»Mein ganzes Leben lang habe ich in Angst vor den Engländern gelebt. Immer wieder kamen die Soldaten in unsere Häuser, nahmen unsere Clansleute gefangen oder töteten sie gleich an Ort und Stelle, trieben unser Vieh fort und erlegten uns Gesetze auf, die beinahe den Untergang des Clans zur Folge gehabt hätten.«
»Aber...«
»Lasst mich Bitte ausreden.« Seine Augen bohrten sich in die ihren. »Ihr habt gefragt, und ich gebe Euch eine Antwort« Sie nickte, und er fuhr fort: »Wir haben gute Gründe dafür, die Handlanger Seiner Majestät zu fürchten. Mein Stiefbruder Eóin, der zugleich auch mein Vetter und ein guter Freund ist, war sechs Jahre alt, als er mit ansehen musste, wie eine Musketenkugel seinem Vater den Hinterkopf wegriss. Der Schuss wurde von einem Dragoner abgeben, der die Familie von ihrem Hof vertreiben sollte. Ein andermal wurde mein Vater Zeuge, wie ein geistig Zurückgebliebener junger Mann, der nie jemandem etwas zu Leide getan hatte, von einem englischen Soldaten geköpft wurde - nur so zum Spaß. Vor meiner Geburt wurde mein Vater nach Fort William geschafft und dort beinahe zu Tode gepeitscht, weil ein Dragoner von ihm verlangte, seinen Clan zu verraten, und er sich weigerte.«
Leah machte Anstalten, etwas einzuwerfen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Ich selbst...« Sie schloss den Mund wieder und sah ihn aus großen Augen an. »Ich selbst wurde, als ich drei Jahre alt war...«, er erschauerte und knirschte vernehmlich mit den Zähnen, »... von einem Major eines Dragonerregiments am Hemd gepackt, er setzte mir seinen Säbel an die Kehle und nahm mich vor den Augen meines Vaters als Geisel.« Seine Stimme brach, und er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Das ist eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen, und sie steht mir heute noch so deutlich vor Augen, wie ich Euch hier vor mir sehe. Ich kann noch immer
den kalten Stahl an meinem Hals spüren, und ich weiß noch, dass ich damals überzeugt war, sterben zu müssen. Mein Herz hämmerte so laut in meinen Ohren, dass ich nichts anderes mehr wahrnehmen konnte. Solche Angst habe ich noch nie zuvor und auch nie danach ausgestanden.«
Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle, er senkte seine Stimme zu einem dumpfen Knurren. »Mit drei Jahren habe ich gelernt, wie schnell der Tod in Gestalt von Männern in roten Röcken uns bedrohen kann. Deswegen hasse ich die Engländer.«
Tränen schimmerten in Leahs Augen. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie sagte nichts. »Ihr habt gefragt.« »Es tut mir Leid.«
Ob ihr Leid tat, was damals geschehen war oder dass sie überhaupt gefragt hatte, konnte er nicht sagen. Er drang auch nicht weiter in sie, sondern nickte nur und wandte sich ab, um in seine Kammer zu gehen.
Sofort sprang sie auf und hielt ihn am Ärmel fest, sodass er gezwungen war, sich umzudrehen und sie anzusehen. »Nein, Ciaran, es tut mir wirklich aufrichtig Leid. Ich hoffe nur, dass der Offizier gebührend bestraft wurde.«
»Och, aye, allerdings. Er starb durch das Schwert meines Vaters.«
Sie riss entsetzt die Augen auf. Er hingegen war erstaunt, dass seine Antwort sie entsetzte. Hatte sie wirklich geglaubt, der Major wäre
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