Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
gesamte Vorrat verkauft.« Er schüttelte den Kopf. »Der Bursche wird mal ein verflucht guter Händler. Offenbar hat er einen Riecher dafür, was sich im nächsten Hafen verscherbeln lässt, selbst wenn das Ziel noch nicht feststeht. So, da wären wir schon.«
Als sie sich der Tür näherten, glitt diese auf; Priscilla folgte Rusty in einen Raum, in dem eine angenehm gedämpfte Beleuchtung herrschte. In der Luft hing leises Stimmengemurmel. In einer hell ausgeleuchteten Nische fand ein Kartenspiel statt; Rusty winkte in diese Richtung, und ein paar der Spieler winkten abwesend zurück. Über den ganzen Raum verteilt saßen andere Leute, in kleinen Grüppchen oder allein. Es wurde geplaudert, manche der Anwesenden waren in irgendeine Lektüre vertieft oder widmeten sich einer Bastelarbeit.
»Ah, da ist ja auch schon Lina«, rief Rusty und steuerte auf eine braunhaarige Liadenfrau zu, die es sich in einem gemütlichen Sessel bequem gemacht hatte und in einem altmodischen, gebundenen Buch schmökerte.
Die Frau blickte hoch und lächelte. »Rah Stee, sei gegrüßt. Wer hat dich denn schon so früh aus deinem Käfig gelassen?«
»Es ist später, als du denkst«, erwiderte er und bedeutete Priscilla, sie möge näher treten. »Darf ich dir Priscilla Mendoza vorstellen? Während dieser Schicht ist sie bei uns an Bord zu Gast. Sie wartet auf eine Unterredung mit dem Cap’n. Priscilla, das ist Lina Faaldom, Chefbibliothekarin.«
Die Frau musterte Priscilla aus ernst blickenden, honigbraunen Augen. Einem spontanen Impuls folgend, den sie sich selbst nicht erklären konnte, ließ sich Priscilla zu einer Handlung hinreißen, die sie noch niemals zuvor vollführt hatte – weder bei Sav Rid Olanek oder irgendeinem anderen Crewmitglied auf der Daxflan: Sie machte eine Verbeugung, wie sie zwischen Gleichgestellten üblich war, exakt so, wie Fin Ton es ihr gezeigt hatte. »Ich schätze mich glücklich, Sie kennen zu lernen, Lina Faaldom«, sagte sie, wobei sie besonderen Wert auf eine korrekte Aussprache legte.
Die Frau klatschte in die Hände. »Nein, so etwas! Sie spricht Liaden! Du solltest dir daran ein Beispiel nehmen, Rah Stee. Sag mal, schämst du dich eigentlich nicht für deine Faulheit?« Sie stand auf und verneigte sich ebenfalls – wie die Etikette es vorschrieb. »Die Freude über dieses Zusammentreffen ist ganz auf meiner Seite, Priscilla Mendoza.« Sie richtete sich wieder auf und fügte in Terranisch hinzu: »Vielleicht gelingt es Ihnen, diesen Faulpelz dazu zu bewegen, sich wenigstens ein paar Brocken Liaden anzueignen. Sind Sie vielleicht hier, um ihm Sprachunterricht zu geben?«
»Das hätte mir gerade noch gefehlt«, wandte Rusty gutmütig ein. »Nein, ich wollte für Priscilla die Fracht-Spekus aufrufen. Willst du kiebitzen?«
»Was ist das – kiebitzen?«
»Das bedeutet, jemandem aus Neugier oder Interesse über die Schulter zu sehen«, erläuterte Priscilla. »Rusty denkt, ich könnte ihm vielleicht ein paar Anregungen geben, wie man Geld verdient.«
»Geld, Geld, Geld. Rah Stee verfügt schon über ein größeres Vermögen, als er je verspielen könnte. Wozu gelüstet es ihn überhaupt nach mehr? Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, ich würde gern kiebitzen. Danke für die Einladung.«
Der Monitor befand sich in der Ecke gegenüber den Kartenspielern. Rusty wedelte kurz mit der Hand vor dem Bildschirm herum und gab dann seinen Kode ein. Lina hockte auf der Armstütze seines Sessels, und Priscilla nahm mit untergeschlagenen Beinen auf einem der Sitzkissen Platz, die planlos im gesamten Raum verteilt lagen.
»So, wir können anfangen. Fracht. Ladebucht Sechs: Zwanzig Kilo Mahagoni; zehn Kilo gelbe Fichte; achtundfünfzig Gallonen Parfüm der Marke ›Hemmungslose Lust‹ – Hemmungslose Lust?« Mit schmerzlichem Gesichtsausdruck grinste er zu Lina hoch.
»Stell dich nicht so an«, wiegelte Lina ab. »Es ist ein Duftwasser, kein Aphrodisiakum.«
»Du bist die Expertin. Vierhundert Scheffel Rohbaumwolle; und zweiundreißig Flaschen Themgo-Essenz.« Er schüttelte den Kopf. »Hoffentlich hat der Bursche sich dieses Mal nicht verkalkuliert … Was sagen Sie dazu, Priscilla?«
»Ich bin beeindruckt«, erwiderte sie in aller Aufrichtigkeit. »Es scheint mir eine gute Auswahl zu sein – bei den meisten Waren handelt es sich um Luxusartikel. Obwohl ich mich mit Hölzern nicht auskenne. Dreißig Kilo kommen mir entweder zu viel oder zu wenig vor.«
»Es handelt sich um Künstlerbedarf«,
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