Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
sich wieder an den Ersten Maat. »Danke, Kayzin Ne’Zame. Ich bin dann so weit.«
Der Captain saß hinter seinem Schreibtisch und tippte emsig etwas in ein Keypad ein. Ein Glas Wein stand griffbereit, und der Stapel an Papieren, die der Bearbeitung harrten, schien sich verdreifacht zu haben.
»Captain«, sagte der Erste Maat in förmlichem Ton, »Priscilla Mendoza ist hier, um mit Ihnen zu sprechen.«
Zerstreut blickte er hoch. »Ms. Mendoza. Guten Morgen. Haben Sie bitte einen Augenblick Geduld, gleich kümmere ich mich um Sie. Kayzin, meine alte Freundin, hätten Sie wohl die Güte, mich in einer Stunde aufzusuchen?«
»Gewiss, Captain.« Der Erste Maat verbeugte sich mit missbilligender Miene, doch der Captain widmete wieder seine volle Aufmerksamkeit dem Bildschirm, und Priscilla glaubte nicht, dass er Kayzins Gesichtsausdruck gesehen hatte. Stirnrunzelnd drehte sich die Frau auf dem Absatz um; die automatische Tür gab ihr Bestes, um sich hinter ihr mit einem Knall zu schließen.
Priscilla stand da und kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an. Während sie sich vor Nervosität auf die Lippe biss, betrachtete sie den Mann am Schreibtisch. In ihre Besorgnis mischte sich Neugier.
Sie wurde nicht klug aus dem Captain. Er war von großer Statur, und seine Haut leuchtete in einem warmen Braunton, höchst ungewöhnlich für Angehörige seines Volkes, die normalerweise einen goldenen Teint aufwiesen. Seine Wangen wirkten glatt wie die eines Kindes; nicht die Spur von Bartwuchs war zu erkennen – wie bei allen männlichen Liaden, die Priscilla im Laufe ihres Lebens kennen gelernt hatte. Das weiße Haar und die weißen Augenbrauen stellten zu der dunklen Haut einen lebhaften Kontrast dar. Die schmalen Wangen und der bewegliche, fein geschnittene Mund verliehen dem Gesicht einen sympathischen Zug.
Bei näherer Betrachtung fand sie, dass er ein recht ansehnlicher Mann war.
Obendrein war er stattlich gebaut. Unter dem Hemd mit dem weiten Ärmeln verbargen sich breite, kräftige Schultern; er hielt sich sehr gerade, ohne dabei steif zu wirken. Die großen Hände bewegten sich mit überraschender Anmut über dem Keypad, und Priscilla hätte wetten mögen, dass sie sich nicht babyweich anfühlten wie die von Rusty Morgenstern.
Abrupt nickte er mit dem Kopf, lehnte sich zurück und streckte seinen langen Arm nach dem Weinglas aus. Die schräg stehenden Brauen zogen sich scharf zusammen, als er hochblickte. »Leidet Sav Rid etwa an Größenwahn? Setzen Sie sich, setzen Sie sich. Haben Sie schon gefrühstückt? Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Wie haben Sie geschlafen?«
Priscilla hielt seinem durchdringenden Blick stand. »Und nun der Reihe nach: Ich habe keinen blassen Schimmer; danke vielmals; ja, ich komme gerade vom Frühstück; nein danke; sehr gut. Und wie war Ihre Nachtruhe?«
»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete er und führte sein Glas an die Lippen. »Obwohl Mr. Saundersons Vorstellungen, was man unter einer gelungenen Party versteht, reichlich unorthodox sind. Wir haben Scharaden gespielt. Und gesungen. Die jüngste Ms. Saunderson versuchte mir das Versprechen abzuluchsen, sie zu heiraten, sowie sie volljährig wird.« Er schüttelte den Kopf. »Allerdings scheint mir, dass sie nicht so sehr in meine elegante Erscheinung verliebt ist, sondern eher nach einer Möglichkeit sucht, kreuz und quer durch die Galaxis zu düsen, deshalb musste ich ihr – wenn auch wehen Herzens – einen Korb gehen. Mir liegen Ihre Testergebnisse vor. Sollen wir jetzt gleich darüber reden?«
Priscilla bemühte sich, ihren aufkommenden Brechreiz zu ignorieren. »Ja, Sir.«
Seine Finger huschten über das Keypad. »Physik, Mathematik, Astrogation – ja, ja, ja. Farben – rot und blau, Lieblingslektüre – ja?« Er sah sie an. »Prebatout. Erinnern Sie sich an die Frage? ›Wie viele Zehen sollte ein Prebatout haben?‹ Ihre Antwort lautet: ›So viele, wie ihm lieb sind.‹ Außer Ihnen kenne ich nur noch eine Person, die diese spezielle Frage so beantwortet hat.«
»Tatsächlich?« Priscillas Hände fühlten sich eiskalt an. »Und wer war diese Person? Doch nicht etwa auch ein mutmaßlicher Dieb?«
»Ein Dieb? Mitnichten. Bei diesem Probanden handelte es sich um einen Scout. Obwohl bei näherem Hinsehen beide Betätigungen so manches gemein haben. Unter diesem Aspekt hatte ich den Beruf des Scouts noch nie betrachtet – diese Sichtweise wirft interessante Interpretationsmöglichkeiten auf. Wenn ich den
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