Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2

der Hebel war sorgfältig abgewischt worden.
    An dieser Stelle hatte Priscilla den Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Doch der Captain drückte kurz ihr Handgelenk, und sie klappte den Mund wieder zu. .
    Während der Befragung durch den Beamten hatte Shan yos’Galan sie dreimal daran gehindert, sich einzumischen; und einmal bedeutete er ihr, sie möge schweigen, als er sich mit dem sichtlich erschütterten Ken Rik unterhielt. Danach übergab er Priscilla in die Obhut des alten Lademeisters und befahl ihm, er solle sie unverzüglich zum Shuttle geleiten.
    »Was?«, protestierte sie entrüstet. »Warum?«
    Ungerührt hielt der Captain ihren wütenden Blicken stand. »Sie hatten eine harte Schicht, Priscilla. Die restlichen Stunden gebe ich Ihnen frei, und um 16.00 melden Sie sich bei mir in meinem Büro. Und Sie, Ken Rik, kommen schnellstmöglich hierher zurück. Es gibt eine Menge aufzuräumen. Ich selbst werde mal ein paar Worte mit Händler Reyes' Angestelltem wechseln.« Danach entfernte er sich.
    Ein akustisches Signal des Monitors riss sie in die Gegenwart zurück. Sie tippte ihre Frage ein, dann wartete sie ein paar bange Minuten, bis die Datei auf dem Bildschirm erschien.
    DIENSTAKTE. PRISCILLA DELACROIX Y MENDOZA
    Ungeduldig überflog sie die Eintragungen. Plötzlich stutzte sie.
    STANDARDJAHR 1384, TULON. LETZTER EINSATZORT HANDELSSCHIFF DAXFLAN. TÄTIG ALS FRACHTMEISTERIN. WECHSELTE DAS SCHIFF VEREINBARUNGSGEMÄSS AUF JANKALIM. MUSTERTE DORT AUF DER DUTIFUL PASSAGE AN. AUFGABENBEREICH: PILOTIN (ZWEITER KLASSE, VORL. LIZENZ) SOWIE BIBLIOTHEKARIN. ANMERKUNG: VERFÜGT ÜBER AUSGEZEICHNETE FÜHRUNGSEIGENSCHAFTEN; POTENZIAL FÜR EIN EIGENES KOMMANDO; ASSISTENTIN DES ZWEITEN MAATS.
    Zweimal las sie den Text durch, bis sie ihn auswendig wusste. Mit keiner Silbe wurde erwähnt, dass sie des Diebstahls bezichtigt wurde oder von ihrem Schiff desertiert wäre. WECHSELTE DAS SCHIFF VEREINBARUNGSGEMÄSS AUF JANKALIM.
    Als Nächstes holte sie den Eintrag der Registrierungsbehörde auf VanDyk auf den Bildschirm.
    Er trug das Datum der vorhergehenden Woche.
    »Unmöglich«, murmelte sie.
    Doch sie hatte sich nicht verlesen. Verwirrt gab sie ihre nächste Frage ein.
    VERTRAG ZWISCHEN PRISCILLADELACROIXYMENDOZA, ERSTE PARTEI, UND SHAN YOS’GALAN, CAPTAIN DER DUTIFUL PASSAGE, ZWEITE PARTEI. DIE ERSTE VERTRAGSPARTEI ÜBERNIMMT DIE AUFGABEN UND PFLICHTEN EINER BIBLIOTHEKARIN, DIE SICH SPEZIELL UM DEN BORDEIGENEN STREICHELZOO KÜMMERT. AUSSERDEM UNTERZIEHT SIE SICH EINEM PILOTENTRAINING. DARÜBER HINAUS VERPFLICHTET SIE SICH, SÄMTLICHE ARBEITEN UND AUSBILDUNGSMASSNAHMEN ZU ABSOLVIEREN, WELCHE DIE ZWEITE VERTRAGSPARTEI FÜR ERFORDERLICH HÄLT.
    Priscilla lehnte sich zurück. Da hatte sie es, mit Brief und Siegel. Flüchtig erinnerte sie sich an einen Rat, den ihr seinerzeit, als sie noch viel jünger war, jemand gegeben hatte. »Eines sage ich dir, mein Kind«, hatte die betreffende Person sie gewarnt. »Unterschreibe niemals einen Vertrag, den ein Liaden aufgesetzt hat. Denn wenn du es tust, wirst du dein blaues Wunder erleben, egal wie gründlich du den Text studiert hast. Musst du mit einem Liaden verhandeln, entwirf selbst einen Kontrakt. Weigert sich der Liaden, ihn zu unterzeichnen, lass den Handel sausen. Das ist sicherer so.«
    Trotzdem fand sie nichts daran auszusetzen, als Assistentin des Zweiten Maats zu fungieren, denn diese Gehilfentätigkeit wurde als offizielle Ausbildung anerkannt und befähigte sie nach den erforderlichen Prüfungen, den Posten eines Zweiten Maats zu übernehmen. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, hätte der Captain ihr von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, was er mit ihr vorhatte, aber sie ging davon aus, dass er nur das Beste für sie wollte.
    Erst nachdem sie den Monitor ausgeschaltet und die Bibliothek verlassen hatte, stellte sie sich die Frage, was sie eigentlich so sicher machte, dass Shan yos’Galan es tatsächlich gut mit ihr meinte.

Schiffsjahr 65, Reisetag 143, Dritte Schicht, 16.00 Uhr

     
     
    P riscilla verließ den Lift und marschierte festen Schrittes zum Büro des Captains. Sie trug das gelbe Hemd und die Khakihose, die sie angehabt hatte, als sie zum ersten Mal durch diesen Korridor gelaufen war. In einer Tasche lag wohlverwahrt die vorläufige Pilotenlizenz Zweiter Klasse. Ihre restliche Habe befand sich in ihrer ehemaligen Kabine, die sauber zusammengefaltete und aufeinander gestapelte Bekleidung neben einer Plastikbox. Sie durfte nicht vergessen, dem Captain zu