Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
benutzt man nur, wenn man zum Beispiel … seinen eigenen Bruder anspricht. Oder eine Person, mit der man zusammen aufgewachsen ist und sie vielleicht schon sein ganzes Leben lang kennt.«
»Tatsächlich? Dann bin ich froh, dass ich es gesagt habe. In dieser Situation war es genau richtig.«
»Priscilla«, flehte Lina, »das war sehr ungehörig. So was schickt sich nicht. Tu es bitte nie wieder.«
»Na schön«, gab sie unbekümmert nach. »Im Übrigen glaube ich nicht, dass ich jemals wieder in eine Situation gerate, in der ich so etwas aussprechen muss.« Sie lachte leise, und Lina hielt den Atem an. »Der arme Sav Rid!«
Lina fand Shan in der Sporthalle. In der Tür blieb sie stehen und sah zu, wie er den Schläger schwang, den Ball traf, seine Bewegungen immer schneller wurden, ineinander überzugehen schienen, bis das Auge kaum noch zu folgen vermochte. Shan bewegte sich mit einer unglaublichen Behändigkeit, verfehlte keinen einzigen Ball, schien überhaupt nicht zu ermüden.
Nach einer Weile trat sie ein, schob sich vorsichtig am Rand des Spielfelds entlang und hörte plötzlich, wie der Ball direkt über ihrer Schulter von der Wand abprallte.
»Lina! Sind Sie lebensmüde? Um ein Haar hätte ich Sie getroffen!«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte sie gelassen und marschierte direkt auf ihn zu. »Dazu sind Sie viel zu geschickt, mein Freund.«
»Unfälle können immer passieren.« Shan ging ihr entgegen, in einer Hand den Schläger, in der anderen den Ball. Sein Haar stand in feuchten Strähnen von seinem Kopf ab und verlieh ihm ein leicht satanisches Aussehen; er atmete schwer, und das rotweinfarbene Hemd wies an manchen Stellen dunkle Schwitzflecken auf. Lina verdrängte eine Anwandlung von liebevoller Sympathie; in exakt der vorgeschriebenen Entfernung blieb sie stehen und blickte ernst zu ihm auf.
»Sie mischen sich in Dinge ein, die Sie nichts angehen!« Sie benutzte die Hochsprache, wie es sich gehörte, wenn sie sich an ihn als ihren Vorgesetzten wandte.
»Das tue ich doch immer«, erwiderte er auf Terranisch. »Als ob Sie das nicht wüssten.«
»In diesem Fall werden Sie sich aber zurückhalten. Ich bestehe darauf!« Sie befleißigte sich weiterhin der Hochsprache, obwohl sie einen befehlenden Ton anschlug; allerdings wahrte sie immer noch die Grenzen des Schicklichen.
»Ach du meine Güte«, murmelte Shan und sah mit geheuchelter Bestürzung auf sie hinunter. »Könnten wir uns vielleicht setzen?«
Die zarte Liadenfrau schmunzelte und ließ sich von ihm an die Seitenlinie des Spielfelds führen. »Sie sind unmöglich!«, warf sie ihm auf Terranisch vor. »Sie haben es verdient, gescholten zu werden.«
»Wie so oft«, pflichtete er freundlich bei. Er legte den Schläger und den Ball in ein Fach an der Wand und ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. Genüßlich streckte er die Beine weit von sich aus. »Fangen Sie mit Ihrer Strafpredigt an. Was habe ich verbrochen?«
Sie runzelte die Stirn. Ihr entging nicht, dass er sich in einer reizbaren Stimmung befand. Vorsichtig begann sie: »Shan, die Sache ist ernst, bitte glauben Sie mir. Sie könnten – ohne es zu wollen – beträchtlichen Schaden anrichten.« Behutsam streckte sie einen mentalen Fühler aus, um seine Emotionen zu ergründen.
Aber sie traf auf Widerstand, auf die vertraute Barriere einer Person, die selbst über die Fähigkeiten eines Heilers verfügt. Shan schottete sich nur selten so total ab; und gegen sie hatte er sich in all den Jahren ihrer Freundschaft noch niemals gesperrt. Nicht einmal zu der Zeit, als seine Mutter auf tragische Weise ums Leben kam, und auch nicht, als Er Thom yos’Galan ihr nachfolgte.
Lina zog den Fühler zurück und fasste Shan ruhig ins Auge. »Es ist nicht gut«, meinte sie, »wenn Heiler sich über eine angemessene Vorgehensweise streiten. Und es ist besonders schlimm, wenn der Heilungsprozess bereits eingesetzt hat.«
»Dem stimme ich zu«, entgegnete Shan.
»Das freut mich. Und jetzt will ich in aller Offenheit bekennen, dass ich äußerst verwirrt bin. Ich stehe vor einem Rätsel. Waren wir nicht übereingekommen, dass ich mich um Priscilla kümmern sollte, obwohl sie sich zu uns beiden gleichermaßen hingezogen fühlt? Ich darf Sie daran erinnern, mein Freund, dass Sie damals sagten, Sie seien kein Heiler, sondern Captain.«
»Exakt. In dieser Angelegenheit betätige ich mich nicht als Heiler«
Lina unterdrückte einen Seufzer. Shan stellte sich stur; er demonstrierte
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