Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
Geschenk von Shan yos’Galan, und der Captain hätte nichts damit zu tun.«
»Das hat er gesagt?« Lina hob die Schultern. »Nun, dann wird es schon stimmen.«
Priscilla seufzte. »Sicher, aber wenn Shan yos’Galan der Captain ist …«
»Du weißt vermutlich, dass der Captain das Schiff repräsentiert«, erklärte ihre Freundin. »Aber gleichzeitig steht es ihm frei, als Privatperson zu handeln. Bei uns heißt das … ich kenne das terranische Wort nicht. Ich will versuchen, es zu erläutern. Also, Shan yos’Galan verkörpert mehrere … Rollen. Er ist Captain, Meisterhändler, Pilot – das sind drei Stimmen, mit denen er für das Schiff sprechen kann. Auf Liad ist er auch noch Lord yos’Galan. Er wollte nur klarstellen, in welcher Eigenschaft er handelte, als er dir die Ohrringe schenkte.«
Priscilla starrte sie an. »Macht es denn einen Unterschied? Er ist und bleibt immer dieselbe Person, egal, welchen Titel er benutzt.«
»Selbstverständlich bleibt er stets derselbe. Aber der Captain hat bestimmte Pflichten und eine besondere Verantwortung. Als Meisterhändler jedoch obliegen ihm andere, spezifische Aufgaben. Fungiert er als Pilot, stellt man wiederum ganz andere Anforderungen an ihn.« Ratlos kaute Lina auf ihrer Unterlippe. »Alles zusammen nennen wir Melant’i, Priscilla. Dieser Begriff hat zwei Bedeutungen. Einmal bezeichnet er jemanden, der in einer bestimmten Beziehung zu einer aktuellen Situation steht. Zum anderen beschreibt dieser Ausdruck eine Person, die mehrere Rollen in sich vereinigt.« Sie seufzte, als sie den verständnislosen Blick ihrer Freundin auffing, und fuhr fort: »Es ist richtig, dass Shan yos’Galan der Captain ist. Aber der Captain ist nicht Shan yos’Galan.«
»Darüber muss ich in Ruhe nachdenken«, erwiderte Priscilla und lächelte matt. »Vielleicht gibt es für Melant’i keinen entsprechenden terranischen Begriff, und diese Vokabel ist unübersetzbar.« Sie legte den Kopf schräg. »Sei ehrlich, findest du, dass ich Liaden mit einem schauderhaften Akzent spreche?«
»Nein. Wer hat das gesagt? Du sprichst sehr langsam, und dein Wortschatz ist nicht gerade groß, aber du hast ja erst angefangen, die Sprache zu lernen.«
»Der Captain hat es gesagt – jedenfalls glaube ich, dass es der Captain war, aber es hätte auch Shan yos’Galan sein können. Er meinte, meine Aussprache ließe sehr zu wünschen übrig, und er wolle mich seiner Tante vorstellen, genauer gesagt, der Tante seines Bruders.«
»Lady Kareen? Illanga kilachi – nur das nicht! Priscilla, hat er versprochen, er würde dich mit dieser Dame bekannt machen?«
»Er sagte, er müsse mich ihr unbedingt vorstellen«, zitierte sie mit einem Anflug von Humor. »Was ist denn los mit ihr?«
»Das vermagst du dir gar nicht vorzustellen! Sie legt unglaublich viel Wert auf Etikette, gibt in den vornehmen Kreisen sozusagen den Ton an – ah, was für eine Gemeinheit! Ab sofort werden wir beide fleißig üben; ich gebe dir Sprachunterricht. Morgen suche ich dir ein paar Bänder mit entsprechend Lektionen heraus. Kannst du im Schlaf lernen? Gut. Außerdem mache ich dich mit den Feinheiten unseres Protokolls vertraut.« Sie rang die Hände. »Was mag ihn nur dazu getrieben haben, dir so etwas anzutun? Ausgerechnet Lady Kareen …«
»Vielleicht weil ich ihm vorwarf, er sei anmaßend«, gestand Priscilla.
»Aha, und jetzt will er dir jemanden vorführen, der wirklich und wahrhaftig anmaßend ist.« Lina grinste verschmitzt. »Offen gesagt, kriegst du genau das, was du verdienst. Jetzt sehe ich die Dinge schon anders. Was hat dich nur dazu getrieben, ihm diese Beleidigung an den Kopf zu werfen?«
»Es ist mir rausgerutscht, nachdem er mir sagte, ich hätte einen Hang zum Melodramatischen.«
Lina prustete los. »Das klingt ja, als hättet ihr euch beim Essen ausgezeichnet unterhalten! Habt ihr fortwährend Komplimente ausgetauscht?«
»Offenbar brauche ich wirklich Unterricht in gutem Benehmen«, gab Priscilla fröhlich zu. Gleich darauf wurde sie wieder ernst. »Warum ist es verkehrt, wenn ich dem Captain – dem Meisterhändler – sage, dass ich überglücklich bin, ihn zu sehen?«
Entgeistert starrte Lina sie an. »Das hast du gesagt? Zu Shan? In der Öffentlichkeit?«
»Und in der Hochsprache«, bekannte ihre Freundin verlegen. »Habe ich mich blamiert?«
»Kein Wunder, dass er dir Ohrringe schenkt«, gluckste Lina und drückte ihre Hand. »Priscilla, so etwas darfst du nie wieder tun! Diese Formulierung
Weitere Kostenlose Bücher