Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
so jung und unerfahren ist wie Sie, in einer derart wichtigen Frage eigenmächtig handelt. Die korrekte – und kluge – Vorgehensweise wäre gewesen, zuvor den Rat einer älteren, sachverständigen Person einzuholen.« Er unterbrach sich, als ihm in den Sinn kam, dass er sich vielleicht im Ton vergriff. Shan war dafür bekannt, dass er unberechenbar reagieren konnte, wenn man ihn nur genügend provozierte.
»Natürlich ziehe ich in Betracht«, fuhr er einlenkend fort, »dass Sie noch jung sind, Mylord. Die Erfahrung kommt erst mit den Jahren, wenn man lange genug die Handlungen älterer Personen beobachtet und deren Gedanken studiert hat. Nichts liegt mir mehr am Herzen, als Ihrer Familie, Ihrem Clan zu dienen. Mein Leben lang habe ich versucht, dem Hause Korval von Nutzen zu sein. Und wenn ich mir jetzt die Freiheit nehme, offen meine Kritik zu äußern, dann nur, weil ich weiß, dass gerade junge Leute die größten Fehler begehen, wenn sie am meisten bemüht sind, alles richtig zu machen.«
Das Schweigen, das darauf folgte, dauerte so lange, dass Mr. dea’Gauss die vage Furcht beschlich, er könne den Bogen tatsächlich überspannt haben. Es stand in Shans Ermessen – und war ihm durchaus zuzutrauen –, dass er die angebotene Hilfe ablehnte und den geschäftlichen Berater seiner Sippe ohne viel Federlesens nach Liad zurückschickte. Falls es dazu käme, graute es dem alten Herrn jetzt schon vor der Begegnung mit der Ersten Sprecherin; diese Unterredung würde mehr als unerquicklich ausfallen. Nova yos’Galan hatte sehr präzise Vorstellungen von ihren Pflichten; sie duldete keine Patzer, mit Versagern machte sie kurzen Prozess.
»Nun denn«, hob Shan im Plauderton an. »Was verlangen Sie von mir, Sir? Soll ich als Captain abtreten und Sie auf meinen Stuhl setzen? Möchten Sie selbst die Passage befehligen? Oder soll ich den gesamten Schuldausgleich abblasen und mich mit dem zufrieden geben, was ich bereits erreicht habe?«
Mr. dea’Gauss hielt sich vor Augen, dass Shan in seiner Unberechenbarkeit auf die abstrusesten Lösungen für ein Problem verfallen konnte. »Sie gelten allgemein als ausgezeichneter Captain, Mylord«, erwiderte er gelassen. »Und als Händler genießen Sie einen erstklassigen Ruf. Vorläufig sollten wir alles beim Alten belassen … Und wenn Sie jetzt so freundlich wären, mich einzuweihen, welche Schritte Sie bereits unternommen haben, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
»Ich ließ via Pin-Beam an vierhundertachtundzwanzig Welten Mitteilungen verschicken, in denen vor den Machenschaften der Daxflan gewarnt wurde. Man sollte Bescheid wissen, dass Crewmitglieder dieses Schiffs an gewalttätigen Handlungen im Hafengebiet von Arsdred beteiligt waren. Bis jetzt trafen dreihundert Antworten bei uns ein, über Pin-Beam und über Bounce-Kom, in denen man uns für die Warnung dankt. Die Handelskommission wurde ebenfalls informiert. Auch sie bedankt sich für den Hinweis und hat zugesagt, in der Angelegenheit zu ermitteln.« Er legte eine Pause ein. »Ich nehme an, dass diese Maßnahmen Ihre Billigung finden.«
Mr. dea’Gauss atmete tief durch. »Es wäre mir sehr lieb, wenn ich die Unterlagen über diesen Fall persönlich in Augenschein nehmen könnte, damit ich mir ein eigenes Urteil bilden kann.« Er dachte kurz nach, ehe er sich weiter vorwagte. »Ist Lady Mendoza an dieser Aktion beteiligt?«
»Lady Mendoza«, erwiderte Shan in grimmigem Ton und mit schmalen Lippen, »wurde körperlich angegriffen, und man hat ihre Ehre besudelt. Dies geschah im Auftrag von Sav Rid Olanek. Die Details finden Sie in ihrer Akte.« Er beugte sich vor, tippte mit einem Finger eine Sequenz in das Key-Pad und stand dann von seinem Sessel auf. »Wenn Sie die Güte hätten, meinen Platz einzunehmen, Sir, können Sie sich sogleich darüber informieren, was ich bis jetzt in die Wege geleitet habe. Ich hoffe, meine Bemühungen finden Ihre Zustimmung.« Er deutete eine Verbeugung an. »Und nun bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, Sir. Aber meine Pflicht als Captain dieses Schiffs erfordert meine Anwesenheit auf der Brücke. In Kürze verlässt die Passage den Orbit.«
»Selbstverständlich, Euer Lordschaft«, erwiderte Mr. dea’Gauss und stand auf. Er verbeugte sich, als Shan raschen Schrittes den Raum verließ, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch und zog einen Notecorder aus dem Ärmel.
Schiffsjahr 65, Reisetag 155, Zweite Schicht, 6.00 Uhr
W ir verlassen den Orbit von Arsdred«,
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