Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
konnte als ein Proselyt der Moreleki-Sekte. Die Ankündigung, es ginge um die »geschäftlichen Belange des Korval-Clans«, verhieß ohnehin nichts Gutes.
Wenn Shan sich nicht sehr irrte, dann würde der ehrenwerte Mr. dea’Gauss ihn nach allen Regeln der Kunst abkanzeln.
Nachdem er seinen Becher auf den Schreibtisch gestellt und es sich in seinem Sessel bequem gemacht hatte, geriet er ins Grübeln. Es war schon seltsam, dass sein Titel als Lord, der ihm etliche Privilegien und eine nicht unbeträchtliche Machtfülle garantierte, keineswegs ausreichte, um ihn vor dem rechthaberischen Genörgel der Personen zu schützen, denen sein Wohlergehen am Herzen lag.
Die Türglocke läutete, und Shan stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Einen flüchtigen Augenblick lang war er versucht, den Besucher einfach zu ignorieren, doch dann verwarf er diesen albernen Gedanken. Beherzt griff er nach seinem Kaffeebecher und rief: »Herein.«
Mr. dea’Gauss trat drei Schritte in den Raum und machte eine Verbeugung, wie es sich für einen Angestellten geziemte, der vor seinem Gebieter stand.
Shan neigte den Kopf und nippte an dem heißen Kaffee. »Mr. dea’Gauss. Es freut mich, dass es Ihnen offenbar gut geht. Sie sehen prächtig aus. Aber ein guter Kampf hat sie schon immer beflügelt. Bitte, nehmen Sie Platz.«
»Euer Lordschaft geruhen zu scherzen, nehme ich an«, erwiderte der ältere Herr in einem Ton, der nicht dazu angetan war, eine fröhliche Atmosphäre zu fördern. »Die Angelegenheit, in der ich Sie zu sprechen wünsche, ist von größtem Ernst. Ich bin sicher, dass ich während meiner Ausführungen auf Ihre volle Aufmerksamkeit zählen kann.«
»Selbstverständlich«, murmelte Shan höflich.
Mr. dea’Gauss maß Shan mit festem Blick. Mit durchgedrücktem Kreuz, die Füße nebeneinander auf den Boden gestellt, die Hände im Schoß gefaltet, saß er auf dem Stuhl, ohne sich anzulehnen. »Während ich den Instruktionen Folge leistete, welche die Erste Sprecherin des Hauses Korval mir auferlegte«, begann er förmlich, »entdeckte ich gewisse Anzeichen, die den Schluss nahe legen, dass Sie mit Sav Rid Olanek aus dem Plemia-Clan einen Schuldausgleich in Angriff genommen haben. Ist dem so?«
Jetzt kommt es, dachte Shan. Er neigte sein Haupt. »Ja, dem ist so.«
Sein Gegenüber stieß scharf den Atem aus. »Es war vielleicht ein wenig ungeschickt«, fuhr er fort, wobei er einen Ton anschlug, der alles andere als versöhnlich klang, »dass Sie dieses Unterfangen in die Wege geleitet haben, ohne sich vorher mit jemandem zu beraten, der sich in derlei Dingen besser auskennt. Hätte man mich von Anfang an zu Rate gezogen, wäre der Ausgleich aller Wahrscheinlichkeit nach zügig und – wie ich hinzufügen möchte – sauber vonstattengegangen. So wie sich die Sachlage derzeit darstellt …«
»Derzeit«, schnitt Shan ihm das Wort ab und gestattete es sich, eine Spur von Gereiztheit durchklingen zu lassen, »bin ich der Captain dieses Schiffs. Und als Captain ist es meine Pflicht, für die Ehre eines jeden Crewmitglieds einzustehen. Täte ich dieses nicht, würde ich es zulassen, dass auch die Ehre des Schiffs und nicht zuletzt meine Ehre als Captain Schaden leiden.«
»Grundsätzlich ist das richtig«, räumte Mr. dea’Gauss ein. »Aber die aktuelle Situation ist keineswegs klar. Auch wenn Sie der Captain sind, steht es Ihnen nicht zu, das Schiff und die Besatzung in einen Schuldausgleich zu stürzen, ohne die Erste Sprecherin davon zu unterrichten. Immerhin ist es die Pflicht der Ersten Sprecherin, die Ehre des Clans zu schützen. Und ich glaube, dass der Schlag, den man Ihnen zufügte, dem gesamten Haus Korval galt.« Er legte eine Pause ein und rieb sich die Hände. »Sie sind doch darüber informiert, dass Sav Rid Olanek Ihrer Schwester, der Ersten Sprecherin, Anlass gegeben hat, sich beleidigt zu fühlen?«
Shan trank seinen Kaffee und zuckte die Achseln. »Ich neige eher zu der Ansicht, dass meine Schwester, die Erste Sprecherin, Sav Rid Olanek Grund zur Verstimmung gab. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen – ja, dieser leidige Vorfall ist mir bekannt. Doch mein Wissen um diesen Eklat dürfte für die Entwicklung, welche die Dinge dann nahmen, kaum relevant gewesen sein. Ich tat das, was ich tun musste!«
»Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären«, hakte Mr. dea’Gauss energisch nach. »Seit vielen Jahren kümmere ich mich um die Interessen des Hauses Korval. Es grenzt an Hybris, wenn jemand, der
Weitere Kostenlose Bücher