Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 2 - Der Agent und die Söldnerin
sage es nicht nur, ich weiß es! Ich erzählte dir doch, dass ich in den Genuss einer überragenden Ausbildung kam. Ich bin hoch spezialisiert. Unter anderem bin ich in der Lage, Überlebenschancen zu kalkulieren, indem ich bekannte Elemente und unbewusst aufgenommene Details mit einer extrem hohen Datenmenge, die in meinem Gedächtnis gespeichert ist, in Relation setze. Wenn ich behaupte, dass du morgen Abend aller Wahrscheinlichkeit nach tot bist, solltest du ohne mich von hier fortgehen, dann kannst du dich darauf verlassen, dass es dazu kommt.«
»Warum, zur Hölle, sollte ich dir vertrauen?«
Er schloss die Augen und sog tief den Atem ein. »Du solltest dich dazu überwinden, mir zu glauben«, erklärte er, jedes einzelne Wort betonend wie bei einem Ritual, »weil es einfach stimmt. Wenn es dir hilft, dann leiste ich sogar einen Eid.« Er machte die Augen wieder auf, und ihre Blicke begegneten sich. »Bei der Ehre des Korval-Clans schwöre ich, der Zweite Sprecher, dass ich die Wahrheit sage.«
Das brachte Miri zum Schweigen. Liaden erwähnten nur selten die Ehre ihres Clans; die Reputation, das Prestige ihrer Sippe, waren ihnen heilig. Wenn jemand auf die Ehre seines Clans schwor, dann meinte er es bitterernst.
In seinen Augen spiegelte sich verhaltener Zorn, vielleicht auch eine Spur Gekränktheit. Der Blick verriet seine Frustration, aber gleichzeitig völlige Offenheit. Was immer sie Val Con unterstellt haben mochte – in diesem Punkt hatte er nicht gelogen. Sie holte tief Luft, als sie sich vergegenwärtigte, was diese Erkenntnis für sie bedeutete. Er war fest davon überzeugt, dass sie anderentags tot sein würde, wenn sie ihn verließe.
»Okay, du hast mir mitgeteilt, was du denkst«, erklärte sie und wünschte sich, ihr bliebe mehr Zeit zum Nachdenken. »Aber du musst auch verstehen, dass es mir nicht ganz leichtfällt, deine Auffassung zu teilen. Du bittest mich, dir zu glauben. Doch bis jetzt ist mir noch nie jemand begegnet, der die Zukunft vorhersehen konnte.« Dieser Ausspruch war keine gelungene Entschuldigung, und er reagierte merklich gereizt.
»Ich bin kein Wahrsager. Ich extrapoliere lediglich Daten und berechne Wahrscheinlichkeiten.« Seine Stimme klang hart und kalt wie Stahl. »Du bist keine ›ungebildete Söldnerin‹, und ich wundere mich, dass du beharrlich darauf bestehst, diesen Typus der tumben Soldatin zu spielen.«
Das Lachen entschlüpfte ihr, ehe sie sich beherrschen konnte.
»Ein Punkt für dich, zäher Bursche«, spottete sie, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Darf ich dir vielleicht bezüglich deiner Wahrscheinlichkeitsrechnungen ein paar Fragen stellen?
Nur um meine Neugier zu befriedigen? Blöd bin ich wirklich nicht, aber ich kann verdammt hartnäckig sein.«
Er nahm seine Teetasse in die Hand und lehnte sich im Sessel zurück. »Von mir aus. Schieß los.«
»Wie groß sind die Chancen, das Edger uns verpfeift?«
»Gleich null«, antwortete er prompt. »Rein rechnerisch ist es wahrscheinlicher, dass ich zum Verräter werde, als Edger. Diese Möglichkeit existiert praktisch nicht.«
Sie wölbte die Brauen. »Das freut mich ungemein. Ich mag Edger nämlich sehr gern, er ist ein überaus liebenswürdiger Bursche.« Nach einer kurzen Pause stellte sie die nächste Frage. »Wie hoch standen die Chancen, dass ich dich bei unserem ersten Zusammentreffen hätte töten können?«
Er nippte an seinem Tee und beobachtete die Zahlen, die in der Mentalschleife hinter seinen Augen aufflackerten. Dann teilte er ihr gelassen das Ergebnis der Datenanalyse mit.
»Hättest du versucht, mich umzubringen, während ich ohnmächtig war, wäre es dir mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit gelungen. Als ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte, du dich aber noch im Besitz meiner Waffe befandest, standen deine Erfolgschancen fünfzehn zu hundert – vorausgesetzt, du selbst wolltest die Attacke überleben. Hättest du hingegen deinen eigenen Tod in Kauf genommen, wären deine Chancen, mich zu eliminieren, doppelt so hoch gewesen.«
Er unterbrach sich, trank einen Schluck Tee und betrachtete die Gleichungen der Schleife in seinem Kopf. Dann fuhr er mit der Analyse fort.
»Nachdem du mir meine Waffe zurückgegeben hattest, fielen deine Chancen, mich zu töten, auf annähernd drei Prozent – sofern du entschlossen warst, mich um jeden Preis auszulöschen. Im Übrigen würden die meisten Soldaten wesentlich schlechter abschneiden als du; du bist sehr flink, besitzt ein
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