Leg dein Herz in meine Haende
einer Frau zu liegen. Nein, besser noch, dachte er. Viel besser.
Sie ließen sich Zeit, schlenderten über den Bürgersteig und ahnten nicht, dass sie nur noch wenige Sekunden zu leben hatten. Ihr Henker kicherte wie ein kleiner Junge, während er auf seine Chance wartete.
Jessica diskutierte mit ihrem Bewacher über die Richtung. Sie wollte zum Gefängnis hinübergehen, aber York bestand darauf, sie zum Hotel zurückzubringen. Der mürrische Deputy, den Sloan ernannt hatte, war ein ziemlich unscheinbarer Mann, an dem das einzig Auffällige sein dicker Schnurrbart war. Die langen schwarzen Haare auf der Oberlippe bogen sich nach oben und reichten an den Ecken bis an seine
Nasenflügel. Die Pomade, die er benutzt hatte, machte jedes Haar so steif, dass der Schnurrbart sich nicht einmal dann bewegte, wenn York redete.
Jessica ergriff Calebs Hand, als sie den Bürgersteig verließ. York hielt ihren Ellbogen und versuchte, sie zu führen. Es war kein Verkehr auf der Straße hinter Dr. Lawrences Haus, weil sie an einer Scheune endete. Als Caleb voranlaufen wollte, vergewisserte Jessica sich, dass es ungefährlich für ihn war, und ließ den Kleinen los.
Cole war eben um die Hausecke gebogen und kam über die Straße auf sie zu, als Caleb ihn entdeckte. Der Kleine begann zu laufen. Zweimal stolperte er, fing sich aber wieder und lief weiter. Jessica und York beschleunigten ihre Schritte, um ihn einzuholen. Caleb plapperte unaufhörlich, und Jessica lächelte wie eine stolze Mutter, als sie die Kapriolen ihres Kleinen sah. Als Caleb noch etwa zehn Schritte von Cole entfernt war, hob er beide Arme und brüllte so laut, dass es über die ganze Straße schallte: »Hoch!«
Mr Johnson richtete sich auf die Knie auf, brachte seine Winchester in Position und feuerte. Der Deputy fiel um. Wo er sich eben noch bewegt hatte, lag er jetzt tot am Boden.
Jessica schrie. York lag mit dem Gesicht im Straßenschmutz. Die Kugel hatte ihn direkt ins Herz getroffen, genau wie Mr Johnson es geplant hatte. Er verfehlte sein Ziel nie.
Jessica fiel auf die Knie und versuchte, den Mann umzudrehen, um ihm zu helfen. Überall war Blut. »Mr York«, wimmerte sie. »Nein ... nein ... Mr York ...«
Sie griff nach der Waffe in seinem Halfter und hatte sie gerade herausgezogen, als ein zweiter Schuss den Staub neben ihr aufwirbelte. Wieder schrie sie, ließ die Waffe fallen und ergriff sie dann rasch wieder.
»Runter!«, brüllte Cole, als er zu ihr rannte. Die Schüsse kamen vom Dach des Warenhauses, aber er konnte nicht die genaue Position des Schützen ausmachen. Er schrie Jessica zu, von der Straße zu verschwinden, sich zu ducken und irgendwo Schutz zu suchen, doch sie hörte nicht auf ihn.
Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie zum Dach hinauf, hob mit beiden Händen die schwere Waffe und versuchte abzudrücken. Sie zitterte jedoch so heftig, dass sie den Revolver beinahe wieder fallen ließ, und als sie dann endlich schoss, schlug die Kugel in das Glas des Fensters im ersten Stockwerk ein.
Die Schüsse hatten Caleb erschreckt, und er begann zu seiner Mutter zurückzulaufen. »Nein!«, schrie Jessica entsetzt.
Mr Johnson beobachtete grinsend, wie sie ihrem Kind entgegenlief. Er spielte mit ihr. Dies alles bereitete ihm einen solchen Spaß, dass er gar nicht anders konnte, als Katz und Maus mit ihr zu spielen. Da er den Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht der Frau so sehr genoss, wollte er den Moment so lange wie möglich auskosten. Der Junge stellte jetzt ein leichtes Ziel dar. Das war gut. Mr Johnson lächelte, als er überlegte, ob er den Jungen nicht doch vor der Mutter töten sollte, um ihren Gesichtsausdruck zu sehen. Der würde unbezahlbar sein.
Aber sie bewegte sich zu schnell, und das gefiel ihm nicht. So geht das nicht, dachte er kichernd und jagte direkt vor ihr eine Kugel in die Erde. Abrupt verhielt sie ihren Schritt. »Schon besser«, flüsterte er, aber dann bewegte sie sich wieder, und er musste noch einmal vor ihr in die Erde schießen, um sie aufzuhalten. Der Staub spritzte ihr bis ins Gesicht.
Doch dieses verdammte Frauenzimmer lief trotz allem weiter! Gott schütze sie - und dazu wird er bald Gelegenheit bekommen, dachte Mr Johnson. Ob sie so tugendhaft sein mochte, wie sie aussah? Mr Johnson bezweifelte es. Es gab keine tugendhaften Frauen, und diese hier würde er noch nicht in den Himmel oder in die Hölle schicken. Nein, vorher würde er sie noch ein bisschen leiden lassen. Nach seinen Regeln, nicht nach
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