Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
vor lauter Nervosität. Doch das bisschen, das er gegessen hatte, blieb eisern drin. Seit wir die neue Medizin im Haus hatten, war es mit der Kotzerei vorbei. Ganz billig war es nicht gewesen, aber dafür reichte als Prophylaxe schon eine kleine tägliche Dosis von einer Viertelstunde. Ich hatte die Playstation 3 bereits in diversen Elternforen weiterempfohlen.
Sophie und Benedikt konnten nicht mit zur Einschulungsfeier gehen, da sie selbst zum Unterricht mussten, doch sie wünschten ihrem kleinen Bruder von Herzen alles Gute.
»Wenn du die nächsten zwölf Jahre überlebst, hast du das Schlimmste hinter dir«, meinte Benedikt wohlwollend. »Und nicht vergessen: Wenn dir da irgendwelche Vollpfosten blöd kommen, sagst du, dass der Freund von deiner Mutter ein Polizist ist und all deine Feinde verhaftet.«
Dann musste er mit Sandra telefonieren, ohne die er es nicht lange aushielt. Die beiden waren wirklich schwer verliebt, und das schon seit fast drei Monaten.
Sophie machte sich ebenfalls für die Schule fertig, auch sie war verliebt, diesmal zum Glück nicht in den Falschen, sondern in Lukas, der sie anhimmelte und jeden Morgen abholte, um mit ihr gemeinsam zur Schule zu fahren. Wehmütig sah ich zu, wie die beiden sich vor dem Haus küssten, bevor sie sich auf ihre Fahrräder schwangen. Meine Tochter sah wunderschön aus mit ihrem rosa Kleidchen und dem langen blonden Seidenhaar, wie eine Märchenprinzessin. Meine Mutter verstieg sich zu dem Kommentar, ich hätte mit siebzehn genauso ausgesehen, worauf Helga in biestigem Ton meinte, woher meine Mutter das denn bitteschön wissen wollte, da sie doch bekanntlich dauernd in der Weltgeschichte herumgegondelt wäre.
Abgesehen von diesem kleinen Disput hatten sich die beiden inzwischen ziemlich gut zusammengerauft. Und was das In-der-Weltgeschichte-herumgondeln anging, verfolgten sie neuerdings buchstäblich ein gemeinsames Ziel: Sie hatten beide ihre Koffer schon gepackt, und zwar für eine Reise nach Namibia. Meine Mutter hatte dort – natürlich per Internet – einen Farmer kennengelernt, den sie für den Mann ihres Lebens hielt. Helga hatte vergeblich versucht, ihr Vernunft einzubläuen – und dann kurz entschlossen einen Teil ihrer Ersparnisse darauf verwendet, für sich ebenfalls einen Flug zu buchen. »Wenn ich Lieselotte alleine da runterfliegen lasse, wird sie nur Blödsinn anstellen«, hatte sie mir anvertraut. »Wusstest du, dass ihr letzter ausländischer Kerl ein Drogenbaron war?«
»Ich dachte, der hatte Müllgeschäfte mit der Camorra laufen.«
»Das war der vorletzte, in Neapel. Ich rede von diesem Raoul aus Südamerika. Und wer weiß, wo dieser Farmer in Afrika seine Finger drin hat! Nein, ich muss mit, sonst passiert ein Drama!«
Außerdem hatte Helga sowieso schon immer nach Afrika reisen wollen, von daher passte alles perfekt zusammen. Zumal ich nach dem endgültigen Auszug der beiden endlich meinen Freund zu mir nach Hause einladen konnte, ohne dass er von meiner Mutter und meiner Schwiegermutter abwechselnd befragt, bekocht, beflirtet oder sonst wie belagert wurde. Es reichte ja schon, dass er von meinen Kindern beargwöhnt wurde, auch wenn das allmählich nachließ.
Während ich auf ihn wartete – er hatte an diesem Morgen frei und wollte mit zu der Einschulungsfeier –, blätterte ich die Zeitung durch. Wie immer in der letzten Zeit las ich zuerst das Impressum. Ich hatte mich noch nicht richtig daran gewöhnt, meinen Namen dort unter der Rubrik Chefredaktion zu sehen. Als Einzigen. Jens hatte nur ein paar Tage nach meiner Beförderung gekündigt und bei der Konkurrenz angeheuert, ganz kommentar- und humorlos – am Ende waren ihm sämtliche Blondinenwitze ausgegangen.
Tobias hupte in der Einfahrt, es wurde Zeit. Zusammen mit Timo, Helga und meiner Mutter ging ich nach draußen. Tobias stieg aus und küsste mich auf die Wange, dann hielt er galant zuerst Helga und danach meiner Mutter die Wagentüren auf, anschließend schnallte er Timo auf dem Kindersitz an und legte zuletzt die Schultüte in den Kofferraum.
Unterdessen drehte ich mich noch einmal zum Haus um, das im strahlenden Sonnenschein wunderschön anzusehen war, mit seinem sauberen neuem Putz und dem leuchtend blauen – inzwischen wieder komplettierten – Dach. Tief durchatmend ließ ich den Anblick für einige Sekunden auf mich wirken, denn dies war einer dieser wirklich seltenen und unwiederbringlichen Augenblicke im Leben, in denen man das Gefühl absoluter
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