Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
fortgehen. Aus ihrer Sicht passte alles prima zusammen: dass die Sache mit Raoul vorbei war, dass ich hilflos und verletzt im Krankenhaus lag, während meine Kinder niemanden hatten, der sie bekochte und versorgte, und vor allem die Tatsache, dass sie ja sowieso irgendwo wohnen musste, bis sich für sie etwas Neues ergab. Besser ging es praktisch gar nicht.
Als sie derart enthusiastisch alle Fakten aufgelistet hatte, hörte es sich beinahe so an, als hätte das Schicksal es extra so eingerichtet, dass ich angeschossen wurde. Bloß, damit sie endlich mal in die Bresche springen und sich um mich und ihre geliebten Enkel kümmern konnte, zumindest so lange, bis ich wieder richtig auf den Beinen und sie auf dem Sprung in ein neues Zuhause wäre. Aber selbstverständlich wolle sie da nichts überstürzen, ich ging auf alle Fälle vor.
»Ich lass dich doch jetzt nicht im Stich!«, hatte sie entrüstet abgewehrt, als ich schwächlich versucht hatte, ihr einen längeren Aufenthalt auszureden.
»Schau, Mutter, Benedikt und Sophie sind schon ziemlich erwachsen. Sie kriegen das bestimmt prima hin. Und Berit ist ja auch noch da. Sie kann sich um Timo kümmern. Sie hat extra angeboten, Urlaub zu nehmen.«
»Das fehlte noch! Wozu soll sie Urlaub nehmen, wenn doch ich da bin! Und jetzt will ich keine Widerworte mehr hören. Schließlich bin ich deine Mutter. Blut ist dicker als Wasser. Ich habe vor, den Kindern jeden Tag eine vollwertige, liebevoll mit eigenen Händen zubereitete Mahlzeit zu kochen. Damit kann ich vielleicht ein bisschen ausgleichen, dass ich während deiner Kindheit so viel auf Reisen sein musste! Ich habe praktisch nie was für dich gekocht!«
Als sie das sagte, kam mir zum ersten Mal in meinem Leben in den Sinn, dass sie mir vielleicht mit ihrer dauernden Abwesenheit einen Gefallen getan hatte. Während eines ihrer seltenen Besuche hatte sie für mich, Tante Hannelore und Onkel Hubert eine liebevoll und mit eigenen Händen zubereitete Bärlauchcremesuppe gekocht. Noch bevor feststand, dass Onkel Hubert aus der Notaufnahme wieder nach Hause durfte, war sie abgereist; sie wollte sich keinen sinnlosen Diskussionen aussetzen, schließlich konnte sie nichts dafür, dass der blöde Bärlauch genauso aussah wie giftige Maiglöckchenblätter.
Sogar in gesundem Zustand fand ich eine Stunde mit ihr wesentlich anstrengender als einen ganzen Tag in der Redaktion. Die Vorstellung, das womöglich über Wochen aushalten zu müssen, baute mich nicht gerade auf.
*
Abends kamen Benedikt und Sophie zu Besuch. Sophie brach in Tränen aus, als sie mich sah. Ich nahm sie vorsichtig in den Arm und tröstete sie. »Es geht doch schon wieder! Ich komme bald nach Hause, alles wird gut!«
»Deswegen heult sie gar nicht«, sagte Benedikt. »Sie hat mit dem Wagen in der Einfahrt rangiert und ist mit dem Kotflügel an der Gartenmauer langgeschrammt.«
Sophie warf ihrem Bruder einen giftigen Blick zu. »Du bist gemein! Wie kannst du so was sagen! Natürlich weine ich wegen Mama! Du bist total herzlos, du Arsch!«
»Ist es eine große Beule?«, fragte ich besorgt.
»Ach wo, nur ein paar kleine Kratzer, nicht schlimmer als die anderen, die schon drin sind. Benny übertreibt mal wieder maßlos.« Ihre Blicke wurden noch giftiger. »Reden wir doch mal über das Knattern. Es wird immer lauter. Und daran ist bloß Benny schuld, weil er das Auto jedes Mal treten muss bis zum Anschlag. Er fährt noch bei siebzig im zweiten Gang, da muss der Motor ja kaputtgehen!«
Ich hatte keine Lust, über das Auto zu reden, obwohl ich wusste, dass es für die Kinder ein zentrales Thema war. Für Benedikt war es wichtig, dass er den Wagen so oft wie möglich fahren konnte, wenn es nach ihm ging, täglich, sowohl zur Schule als auch abends, wenn er sich mit seinen Freunden in der Stadt treffen wollte. Sophie wiederum war daran gelegen, dass das Auto halbwegs in Schuss blieb, denn demnächst stand ihre Fahrprüfung auf dem Programm, und dann gäbe es für sie ein Jahr lang nur diesen fahrbaren Untersatz zum Üben. Der »Führerschein mit siebzehn« nützte ihr nicht das Geringste, wenn kein Wagen da war, mit dem sie fahren konnte.
Dass ihre Sorge aber wirklich weniger dem Auto als vielmehr mir galt, sah ich an ihren rot geweinten Augen und an der Art, wie sie meine Hand festhielt. Meine Tochter tat immer gern so burschikos, aber in Wahrheit hatte sie ein ziemlich weiches Gemüt. Als kleines Mädchen hatte sie schon weinen müssen, wenn sie von Bambi nur
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