Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
mich erschießen wollte, würden ihr vielleicht die Nerven durchgehen. Dann würde sie nicht nur mit ihrem Therapeuten darüber reden wollen – was kein Problem war, der musste ja schweigen –, sondern vielleicht auch mit ihrem Freund Rainer, und wenn der mit seinen Fußballkumpels um die Häuser zog und ordentlich was weggebechert hatte, war kein Geheimnis der Welt bei ihm sicher. Er hatte seinen Freunden sogar erzählt, dass Berit mal Filzläuse gehabt hatte, obwohl das schon über zwanzig Jahre her war.
Nachdem Berit sich verabschiedet hatte, fuhr ich mein Notebook hoch. Die Zeit, die ich untätig hier herumliegen und gesund werden musste, konnte ich wenigstens dazu nutzen, weiter an meinem Roman zu arbeiten. Merkwürdigerweise hatte das schreckliche Erlebnis in der Bank alle möglichen kreativen Gedankengänge bei mir freigesetzt. Als Erstes änderte ich den Pitch.
Die vom Leben benachteiligte Journalistin Alicia wird nach einem frustrierenden Gespräch mit der Kreditabteilung ihrer Bank in der Schalterhalle von einem Bankräuber niedergeschossen. Alle glauben, dass dieser sie als Zeugin beseitigen wollte, in der Annahme, sie habe sein Gesicht gesehen, als ihm kurz die Maske verrutschte. Doch in Wahrheit hat er den Raub nur fingiert, weil er eine Gelegenheit suchte, sie zu töten und dabei seine wahren Motive zu verschleiern. Was Alicia zu der Zeit noch nicht ahnt: Sie kennt den Täter von früher. Einst wies sie ihn zurück, und das wollte er ihr schon immer heimzahlen. Als er erfährt, dass sie den Mordversuch überlebt hat, wächst sein Hass ins Grenzenlose. Doch diesmal will er seine Rache genießen. Bald umkreist er Alicia mit einem teuflischen Spiel der Angst …
Schaudernd las ich, was ich da geschrieben hatte. Keine Frage, mein Unterbewusstsein wollte mir schon wieder was mitteilen. Wieso hätte ich sonst schreiben sollen: Sie kennt den Täter von früher ?
Dieser Satz drückte – wieder rein intuitiv – genau das aus, was ich in dem Lokal empfunden hatte. Nämlich, dass ich dieses Frettchengesicht schon vorher gesehen hatte. Hätte Tobias Anders mich gefragt, was mir in dem Lokal durch den Kopf gegangen war, wüsste er es jetzt auch.
Ich schloss die Augen und zermarterte mir das Hirn, woher zum Teufel ich das Frettchen kannte. Falls er mir wirklich auf einem der Schreibseminare über den Weg gelaufen war, müsste sich das doch herausfinden lassen, oder? Irgendwer hatte bestimmt noch die Teilnehmerlisten. Allerdings lag das letzte Seminar schon sieben – nein, acht! – Jahre zurück, und damals hatten über hundert Leute mitgemacht. Außerdem konnte es auch ganz woanders gewesen sein. Irgendwo an der Supermarktkasse. In einer U-Bahn. Oder während einer Zugfahrt. In jedem Fall aber war es etliche Jahre her, zumindest dessen glaubte ich mir sicher zu sein. Es sei denn, es handelte sich um eine Verwechslung mit jemandem, dem er ähnlich sah.
Erneut horchte ich mein Unterbewusstsein nach intuitiven Eingebungen ab, doch es kam nichts mehr.
Ich wollte mich gerade daran machen, Stoff für ein passendes Szenenexposé zu der neuen Handlungsidee zu sammeln – der Mord an dem Verleger war zu gut, um ihn fallenzulassen, den würde ich auf jeden Fall noch einarbeiten –, als nach kurzem Klopfen Prof. Dr. E. Habermann mitsamt seinem Gefolge aufmarschierte.
Die Visite war noch kürzer als am Vortag, sie ging quasi im Zeitraffer vonstatten, inklusive kompetenten Händedrucks und den Rats, mich zu schonen, und in null Komma nichts waren alle wieder draußen. Anscheinend war hier alles auf höchste Effizienz ausgelegt, wofür auch sprach, dass mir schon um kurz nach elf das Mittagessen gebracht wurde.
Ich freute mich auf einen entsprechend längeren Mittagsschlaf, doch daraus wurde nichts, denn kaum zehn Minuten nach dem Abräumen des Tabletts klopfte es wieder an der Tür, und als ich sah, wer diesmal zu Besuch kam, verfluchte ich mich ernsthaft, abermals den Löscher ausgeschlagen zu haben.
Es war der Bankdirektor Harald Kleinlich.
*
Mein Herz klopfte bis zum Hals. Er sah unglaublich gut aus! Vertrauenswürdig und gleichzeitig männlich, obwohl ich lange Zeit gedacht hatte, dass diese beiden Eigenschaften einander komplett ausschließen. Er trug einen leichten Trenchcoat über dem eleganten Zweireiher, der Kragen seines Hemdes war blütenweiß, die Krawatte dezent auberginefarben. Er hatte einen schmalen Aktenkoffer dabei, farblich passend zu den glänzend gebürsteten englischen Schuhen.
Sein
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