Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Händedruck zur Begrüßung war fest und warm, ebenso wie sein Lächeln. Mitfühlend blickte er auf mich herunter. »Frau Wingenfeld, Sie können sich nicht vorstellen, wie bestürzt und entsetzt meine Mitarbeiter und ich waren! Und wie überaus erleichtert und glücklich wir sind, dass Sie mittlerweile auf dem Wege der Genesung sind.«
»Danke!« Meine Stimme klang, als würde ich nicht genug Luft kriegen. Was vermutlich daran lag, dass ich nicht richtig atmen konnte, weil Harald Kleinlich so dicht neben mir stand. »Vor allem auch dafür, dass Sie die Kosten für die Privatbehandlung übernommen haben. Das war doch nicht nötig!«
Er winkte ab. »Ich bitte Sie. Das war doch das Mindeste. Nach allem, was Sie durchgemacht haben, ist es kaum mehr als eine symbolische Geste. Ihr Wagemut während des Überfalls war wirklich beispiellos!«
Allem Anschein nach hatte er die Bänder mit den Aufzeichnungen nicht gesehen, sondern nur DAS BLATT gelesen. Nur so ließ sich erklären, dass sich diese Legende von meinem heroischen Gebaren derart hartnäckig hielt. Irgendwer hatte sich eingebildet, es sei wirklich so gewesen, ein Zweiter hatte es unkritisch übernommen und einem Dritten gesagt, der hatte es dem BLATT erzählt, und schon glaubte es die ganze Welt.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Auf mein Nicken hin zog er sich einen Stuhl ans Bett, setzte sich und legte den Koffer auf seine Knie. Als er ihn aufklappte, sah ich peinlich berührt, dass er die Vortagsausgabe vom BLATT dabeihatte.
»Das ist alles ein Missverständnis«, sagte ich verlegen. Ihm konnte nicht entgangen sein, dass die Bank in dem Artikel nicht besonders gut wegkam. Die arme, angeschossene, dreifache Mutter war nicht gut genug für eine Hypothek, denn als alleinerziehende Witwe verdiente sie zu wenig. Klar, dass Klaus Rademann sich sofort darauf gestürzt hatte, obwohl es bei unserem Gespräch nur am Rande erwähnt worden war. Dagegen war der andere Punkt, den ich besonders hervorgehoben hatte – dass nämlich die Bank für den Chefarzt und das Einbettzimmer aufkam –, ganz unter den Tisch gefallen, offenbar hatte das nicht ins Bild gepasst.
»Oh, Sie meinen den Zeitungsartikel.« Harald Kleinlich lächelte, was ihn noch attraktiver aussehen ließ. »Die machen immer ziemlich viel Wind, nicht wahr?«
»Ja, die drücken ganz schön auf die Tränendrüse.«
Er nickte. »Die Mitleidsmasche. Das zieht immer.«
»Ich hoffe, Sie sind deswegen nicht sauer.«
»Ach, woher denn. Zumal wir heute schon eine Pressemeldung herausgegeben haben – von der Bank aus, meine ich –, dass wir bei Weitem nicht so knauserig sind, wie es bei manchen Lesern vielleicht den Anschein erwecken mag. Der erste Schein trügt oft, so auch in diesem Fall.«
»Äh – trügt?«, fragte ich. »Und was für eine Pressemeldung? Wegen der Kostenübernahme hier im Krankenhaus?«
»Oh, das. Na ja, das haben wir auch erwähnt, aber das ist eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit, damit wollen wir uns keinesfalls brüsten. Nein, es geht um die Grundschuld.« Er lächelte mich an. »Natürlich bekommen Sie den Kredit.«
»Äh … den Kredit?«, fragte ich wenig geistreich. Als Gesprächspartnerin musste ich ihm vorkommen wie eine hängen gebliebene Schallplatte.
Er nickte nachdrücklich. »Mir ist nicht ganz klar, wie Sie auf den Gedanken kamen, Ihr Antrag sei schon abgelehnt worden. Erinnern Sie sich denn nicht, wie wir nach unserer letzten Unterhaltung verblieben waren?«
»Sie, ähm, wollten sich alles noch mal ansehen«, sagte ich betreten. »Ich dachte, das sei eine Floskel. Um durch eine schriftliche Absage die endgültige Niederlage quasi zu mir nach Hause zu verlagern. Damit es für mich weniger peinlich wäre.«
Harald Kleinlich schüttelte nachsichtig den Kopf. »Du liebe Güte, dachten Sie das wirklich? Falls ich diesen Eindruck bei Ihnen geweckt haben sollte, tut es mir von Herzen leid. Tatsächlich ist es aber ganz normal, wenn der Kreditsachbearbeiter der Bank sich zunächst das komplette Zahlenwerk eingehend ansieht und dann auf der Grundlage aller bekannten Fakten einen Finanzierungsvorschlag ausarbeitet. Das ist ein ziemlich komplizierter Vorgang, der schüttelt sich nicht mal eben so aus dem Ärmel, sondern braucht ein paar Tage. Das haben wir natürlich auch in der Presseerklärung klargestellt.«
»Natürlich«, wiederholte ich stammelnd. Hatte er wirklich vorhin gesagt, dass ich den Kredit kriegte?
Harald Kleinlich zog eine Mappe unter dem BLATT
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