Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
vergangenen Monats mit mir telefoniert, sie wussten alle, was mit mir passiert war. Auch mein oberster Chef, Herr Huber, hatte mich zu Hause angerufen und sich nach meinem Befinden erkundigt. Die ganze Geschichte war für unsere Zeitung ein Riesenaufmacher im Landesteil gewesen, und auch die Lokalredaktion hatte mehrmals darüber berichtet. Jens hatte sogar selbst einen großen Artikel geschrieben und sich dabei förmlich in Mitgefühl gesuhlt, auch wenn er es mir ziemlich übel nahm, dass ich dem BLATT ein Exklusiv-Interview gegeben hatte.
»Hier hättest du zuallererst an die Zeitung denken müssen, bei der du in Lohn und Brot stehst!«
»Ich stand unter Schock, und meine Mutter hat die Verhandlungen geführt.«
»Das darf nicht noch mal vorkommen!«
»Wenn ich das nächste Mal angeschossen werde, kriegst du die Story, großes Ehrenwort!«
An diesem Morgen wieder im Büro zu sein, fühlte sich ein bisschen an wie Nachhausekommen. Alles war am gewohnten Platz, niemand machte Lärm oder Dreck oder teilte mir Benutzungszeiten für meinen PC zu. Sogar Jens benahm sich auf vertraute – wenn auch lästige – Weise wie immer.
Er wollte wissen, was ich bisher über die Arm-dran-Frauen geschrieben hatte, und ich schickte es ihm als Anhang. Eine ganze Zeit lang hörte ich nichts von ihm, er hockte in seinem Einzelbüro und paffte, man roch es durch die geschlossene Tür. Nach einer Weile kam er raus und meinte: »Es fehlen noch ein paar Interviews.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich habe schon Termine mit zwei Frauen ausgemacht. Außerdem habe ich noch ein Gespräch bei der Polizei, über die praktische Anwendung gesetzlicher Vorschriften bei häuslicher Gewalt.«
»Gut«, meinte Jens.
»Und sonst?«, fragte ich. »Hast du inhaltlich keine Meinung dazu?«
Er hob die Brauen. »Ich sagte doch eben, wie ich es finde. Es hat was. Vor allem deine authentischen Fast-Erschießungs-Erfahrungen.«
Klar, dass er irgendwas in der Art loswerden musste. Aber mehr Anerkennung konnte ich von ihm in hundert Jahren nicht erwarten. Ich fühlte mich zufrieden wie lange nicht mehr.
*
Ich holte gerade Timo im Kindergarten ab, als der Anruf von der Agentur kam. Wegen des Lärms um mich herum verstand ich blöderweise den Namen nicht. Sofort hielt ich mir das freie Ohr zu und rief in mein Handy: »Ja, stimmt, ich hatte Ihnen was geschickt. Wie? Es war kein Anhang dabei?«
O Gott, ich hatte den Anhang vergessen!
»Ich schicke es Ihnen sofort noch mal!«, beteuerte ich. »Könnten Sie mir gerade noch mal Ihren Namen sagen?«
Die Frau sagte ihn mir, aber ich verstand es wieder nicht. Diesmal verkniff ich mir, erneut nachzufragen, ich würde einfach nachschauen, bei welcher Agentur ich den Anhang vergessen hatte. Andauernd nach dem Namen zu fragen und dabei ständig ins Telefon zu schreien, war nicht nur amateurhaft, sondern total behämmert! Wie sollte jemand, der wichtige Anhänge vergaß und obendrein schwerhörig war, als ambitionierter Autor durchgehen?
Wenigstens konnte ich nun noch den Schreibfehler korrigieren und die Seitenzahlen einfügen. Vorsorglich erkundigte ich mich auch gleich, wie lang die Leseprobe sein sollte. Dazu stand in jedem Forum etwas anderes.
»… Seiten«, kam es aus der Leitung. Neben mir brüllte ein Kind in den höchsten Tönen. Es hat sich die Schuhe verkehrt herum angezogen.
»Wie viel?«, schrie ich zurück.
»Das sind meine Schuhe!«, brüllte ein anderes Kind.
» … Seiten.«
»Ich schicke es gleich heute noch mal raus!«, rief ich.
Die Antwort der Agentin konnte ich wegen der kreischenden Kinder wieder nicht richtig verstehen, aber ein Teil davon klang wie Wieder melden . Sollte ich mich wieder melden oder sie sich? Das blieb offen, aber es spielte auch keine Rolle – ich würde mich ja auf jeden Fall melden. Schon deshalb, weil ich den Anhang noch einmal verschicken musste.
Durch den Gang kam Janin auf mich zu, diesmal ohne Arschloch Olaf. Ich nutzte die Gelegenheit, sie um ein Interview zu bitten.
»Du weißt doch, was mir neulich passiert ist«, sagte ich, in der Hoffnung, damit solidarische Gefühle bei ihr auszulösen. »Ich schreibe jetzt einen Artikel darüber. Genauer, über Frauen, die Opfer von Gewalt werden.« Ich bemühte mich, so leise zu sprechen, dass es niemand mitbekam. »Und da wollte ich dich fragen, ob du mir vielleicht ein Interview geben könntest.«
Janin fragte gar nicht erst, wieso ich auf sie gekommen war. Eilig setzte ich hinzu: »Es wäre natürlich anonym.
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