Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Trauermiene vor meinem pfannenlosen Dach zu sehen war – aus der Perspektive wirkten meine Beine unglaublich fett, ich würde nie wieder in Jeans auf ein Gerüst steigen! – stand als Schlagzeile:
FRAU (45) WURDE ERNEUT ZUM OPFER!
Annabell W., die sich so mutig dem Bank-Killer in den Weg gestellt hatte, wird vom Schicksal nicht geschont. Kaum von ihrer lebensgefährlichen Schussverletzung genesen, muss sie den nächsten harten Schlag hinnehmen: Die von der Bank bewilligten Gelder für die so dringend nötige Sanierung ihres Familienheims wurden auf skrupellose Weise veruntreut! Der windige Dachdecker Fritz J. machte sich klammheimlich mit einem großen Teil des ihm für die Reparaturarbeiten anvertrauten Kapitals davon. In die Karibik, wie es heißt. Dort lässt er es sich auf Kosten der verzweifelten Frau gut gehen.
»Den Kredit, den die Bank mir für die Sanierung bewilligt hat, muss ich natürlich trotzdem abstottern«, sagt Annabell W. niedergeschlagen.
Auch sonst ist die attraktive Witwe derzeit vom Pech verfolgt: Die Ermittlungen gegen den Bank-Killer, der sie kaltblütig niederschoss, sind im Sande verlaufen, wie DAS BLATT heute von Behördenseite erfuhr. Es muss damit gerechnet werden, dass diese brutale Tat ungesühnt bleibt.
Trotz aller Rückschläge will die hübsche blonde Mittvierzigerin nicht aufgeben: »Ich muss da irgendwie durch«, sagt sie mit Tränen in den Augen. »Meine Kinder brauchen doch ein Dach über dem Kopf!«
Jens betrachtete mich anklagend. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, oder?«
Schuldbewusst zog ich den Kopf ein. »Ich kann nichts dafür! Diese Endfassung habe ich nicht gelesen, ehrlich! Ich hatte keine Ahnung, dass er noch dazuschreiben würde, ich sei hübsch oder attraktiv !« Ich zeigte auf das Bild. »Außerdem kann ja jeder sehen, dass es nicht stimmt. Ich bin auf dem Foto unheimlich fett.«
»Davon rede ich überhaupt nicht. Sondern davon, dass du es schon wieder getan hast.«
»Was denn?« Im selben Moment, als ich das fragte, wusste ich auch schon, worauf er hinauswollte: Ich hatte der Konkurrenz ein Interview gegeben. Auf illoyale Weise den eigenen Arbeitgeber um einen Exklusivbericht gebracht. Zumindest schien Jens sich das einzubilden.
»Ich weiß ehrlich nicht, was du hast«, sagte ich. »Du hättest jederzeit was über mich und mein Dach schreiben können, wenn du gewollt hättest. In der Redaktion haben wir oft genug über die ganze blöde Geschichte gesprochen. Katja hat sogar auf der letzten Sitzung angeregt, etwas über insolvente Handwerker aus der Region zu bringen, und als Aufhänger hat sie mein Dach vorgeschlagen. Dazu hast du dann gesagt, ich zitiere wörtlich: Diesen ewigen Käse über irgendwelche popeligen Pleitegeier will doch niemand lesen. Zitat Ende.«
Entschlossen hielt ich seinem beleidigten Blick stand. Es kam nicht infrage, dass ich Reue zeigte, wo keine angebracht war. Wenn Jens an dem Artikel im BLATT Anstoß nahm, weil er fand, dass diese Berichterstattung unserer Zeitung zukam, hätte er früher aufstehen müssen.
»Und weiter geht es bei unserer fröhlichen Runde!«, säuselte Barbara. »Bitte jetzt das nächste Bäumchen-wechsle-dich, und zwar schnell-schnell-schnell! Schließlich ist es ja ein Speed Dating! Und wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben!«
*
Sonntag, 10.30 Uhr
Mail von Annabell an Berit
Betreff: Peinlich, peinlich!
Hallo Süße,
Du hast es wirklich gut, schon der dritte Kurzurlaub innerhalb von drei Monaten, während ich nur eine Verabredung mit meiner Mutter hatte. Sie hat mich zu einem Speed Dating mitgenommen! Morgen Abend erzähle ich mehr. Heute nur so viel: Meine Mutter will mich mit einem Proktologen verkuppeln. Und Du wirst nie erraten, wer sonst noch da war.
Bussi und schönen Sonntagabend noch, Gruß auch an Rainer!
A.
*
»Tja«, sagte tags darauf der neue Dachdecker, Herr Herzog. »Das wäre dann im Grunde alles, was wir jetzt machen können.« Er hatte sein väterliches Gesicht in schwere Sorgenfalten gelegt, als wäre es sein eigenes Dach, durch das demnächst endlose Sintfluten von prasselndem Starkregen eindringen könnten. »Wir haben die ausstehenden Arbeiten ausgeführt. Es ist alles getan. Nur eines fehlt noch.«
Ich wusste selber, was noch fehlte, schließlich war es von himmelschreiender Offensichtlichkeit und sogar mit einem Riesenfoto in der Sonntagsausgabe vom BLATT zu lesen: Meinem Dach fehlten die Pfannen.
»Wenn wir weitermachen sollen, brauchen wir
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