Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
Lockvögel in der Hauptstadt schon in Position sind. Ich sitze währenddessen einfach nur da und denke über Commander Jamesons Gesichtsausdruck nach. Von all den Republiksoldaten, die mir jemals begegnet sind, mit Ausnahme von Chian vielleicht, schafft es nur Commander Jameson, mich durch und durch vor Kälte erstarren zu lassen. Ich kämpfe gegen die Erinnerung an, wie sie den Befehl zur Erschießung meiner Mutter gegeben hat – und zu Johns Hinrichtung. Wenn Thomas June festgenommen hat, was wird Commander Jameson ihr dann antun? Hat Razor wirklich die Macht, sie zu beschützen? Ich schließe die Augen und versuche, June in Gedanken eine Botschaft zu schicken.
Pass auf dich auf. Ich will dich wiedersehen, wenn das alles hier vorbei ist.
JUNE
Ich bringe es nicht über mich, Day anzusehen, bevor ich ihn zurücklassen muss. Als Razors Patriot mich vom Haupteingang der Pharao-Pyramide wegführt, sehe ich absichtlich nicht in seine Richtung. Es ist besser so, versuche ich mir einzureden. Wenn die Mission glückt, sind wir sowieso nur kurz voneinander getrennt.
Erst jetzt leuchtet mir langsam ein, warum Day so besorgt um meine Sicherheit war. Razors Plan klingt gut, aber trotzdem kann noch einiges schiefgehen. Was, wenn sie mich, anstatt mich dem Elektor vorzuführen, an Ort und Stelle erschießen, sobald sie mich in die Finger bekommen? Oder wenn sie mich kopfüber in einem Verhörraum aufhängen und bewusstlos prügeln? So etwas habe ich schließlich oft genug mitangesehen. Ich könnte noch vor Ablauf dieses Tages tot sein, lange bevor der Elektor überhaupt erfährt, dass sie mich gefunden haben. Millionen von Sachen könnten schiefgehen.
Genau deswegen muss ich mich jetzt konzentrieren, schärfe ich mir ein. Und das schaffe ich bestimmt nicht, indem ich Day in die Augen starre.
Der Patriot führt mich ins Innere der Pyramide und über eine schmale Rampe an einer der Seitenwände entlang. Hier drinnen ist es laut und chaotisch. Hunderte von Soldaten wimmeln auf der untersten Ebene durcheinander. Razor hat mir erklärt, dass sie mich in eins der leeren Schlafquartiere in der zweiten Ebene bringen werden und ich so tun soll, als hätte ich mich dort verstecken wollen, um mich später an Bord der RS Dynasty zu schleichen. Wenn die Republiksoldaten die Tür eintreten, soll ich einen Fluchtversuch vortäuschen. Und ihn so echt wie möglich wirken lassen.
Meine Schritte werden schneller, um mit dem Patrioten mitzuhalten. Jetzt erreichen wir das Ende der Rampe, wo eine Sicherheitstür (gut einen Meter sechzig breit und drei Meter hoch) aus der Haupthalle heraus- und eine Treppe zu den Kasernenfluren im ersten Stock hinaufführt. Der Soldat zieht eine Karte über einen Scanner. Ein Piepsen, ein grünes Licht und die Tür öffnet sich.
»Wehr dich mit aller Kraft, wenn sie dich holen kommen«, rät mir der Patriot mit so leiser Stimme, dass ich ihn kaum verstehe. Äußerlich unterscheidet er sich kein bisschen von den anderen Soldaten hier, mit straff zurückgekämmtem Haar und schwarzer Uniform. »Lass keinen Zweifel daran, dass du nicht gefangen werden willst. Du warst auf dem Weg nach Denver, um dich dort zu stellen. Okay?«
Ich nicke.
Jetzt richtet er seine Aufmerksamkeit auf den Gang, der vor uns liegt, und späht mit schräg gelegtem Kopf an die Decke. Eine Reihe von Überwachungskameras hängt dort, es sind acht an der Zahl, von denen jeweils eine auf jede Tür gerichtet ist. Bevor wir den Flur betreten, zieht der Soldat ein Taschenmesser hervor und schneidet damit einen glänzenden Knopf von seiner Uniformjacke. Dann stemmt er sich in den Türrahmen, einen Fuß auf jeder Seite, und macht einen Satz nach oben.
Ich werfe einen Blick den Flur hinunter. Im Moment sind keine anderen Soldaten zu sehen, aber was passiert, wenn plötzlich einer um die Ecke kommt? Wenn sie mich hier finden, ist das kein Problem (denn das ist schließlich unser Ziel), aber was ist mit dem Patrioten?
Der streckt inzwischen die Hand nach der ersten Überwachungskamera aus und kratzt mit seinem Messer an einer Stelle die Gummiummantelung von den Kabeln. Als schließlich die Drähte darunter freiliegen, zieht er sich seinen Ärmel über die Hand und presst den Metallknopf an die Drähte.
Lautlos sprühen Funken auf. Zu meiner Überraschung gehen sämtliche Überwachungskameras im Flur aus.
»Wie konntest du die alle auf einmal lahmlegen, mit nur einem einzigen –?«, flüstere ich.
Der Patriot springt wieder auf den Boden und
Weitere Kostenlose Bücher