Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
irgendeine verborgene Emotion, die mich verunsichert. »Die Republik ist am Ende.« Ich hole tief Luft. »Und Sie sind ein Feigling, weil Sie Metias ihrer Willkür ausgeliefert haben.«
Thomas kneift die Augen zusammen, als hätte ich ihm ein Messer in die Brust gerammt. Ich mustere ihn, doch er bemerkt meinen prüfenden Blick und wendet ruckartig sein Gesicht ab, dreht sich zur Seite und vergräbt den Kopf in den Händen.
Wieder denke ich an meinen Bruder und an all die Jahre, die er mit Thomas befreundet gewesen ist. Metias kannte Thomas seit seiner Kindheit, lange bevor ich auf der Welt war. Immer wenn sein Vater, der Hausmeister unseres Wohnhochhauses, Thomas mit auf die Arbeit nahm, spielten Thomas und Metias stundenlang zusammen. Militär-Videospiele. Oder sie jagten sich mit Spielzeugpistolen. Irgendwann kam ich dazu und ich erinnere mich noch gut an die vielen leisen Gespräche, die die beiden in unserem Wohnzimmer führten, und wie oft sie zusammenhockten. Außerdem erinnere ich mich an Thomas’ Testergebnis: 1365. Ziemlich gut für ein Kind aus einer armen Familie, aber für eins aus dem Ruby-Sektor bestenfalls Durchschnitt. Metias erriet als Erster Thomas’ Wunsch, Soldat zu werden. Er verbrachte ganze Nachmittage damit, Thomas alles beizubringen, was er selbst lernte. Ohne die Hilfe meines Bruders hätte Thomas es niemals auf die Highland-Universität im Emerald-Sektor geschafft.
Mein Atem geht flach, als es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt. Ich denke an die Blicke, die Metias Thomas während ihrer Trainingsstunden zugeworfen hat. Ich bin immer davon ausgegangen, dass er bloß Thomas’ Haltung und Leistung begutachtete. Ich denke daran, wie geduldig und liebevoll seine Stimme klang, wenn er Thomas etwas erklärte. Wie er ihm die Hand auf die Schulter legte. Ich denke an den Abend zurück, als ich zusammen mit Thomas und Metias in dem Imbiss Nudeln mit grünen Sojabohnen gegessen habe, kurz nachdem Metias seine Stellung als Chians Assistent erhalten hatte. Wie Metias seine Hand stets einen kleinen Augenblick länger als nötig auf Thomas’ Arm liegen ließ. Seine Worte, als er am Tag seiner Vereidigung an meinem Krankenbett geblieben ist. »Ich brauche keine Freundin. Ich habe schon eine kleine Schwester, um die ich mich kümmern muss.« Und das war die Wahrheit. Während seiner Uni-Zeit hatte er sich hin und wieder mal mit Mädchen getroffen, aber niemals länger als eine Woche, und er schien ihnen nie mehr als höfliches Interesse entgegenzubringen.
So offensichtlich. Wie kann es sein, dass mir das nicht schon viel früher aufgefallen ist?
Natürlich hat Metias nie mit mir darüber gesprochen. Beziehungen zwischen Offizieren und ihren Untergebenen sind streng verboten. Und werden hart bestraft. Metias hat Thomas Commander Jameson für ihre Einheit vorgeschlagen … Er muss es für Thomas getan haben, obwohl es bedeutete, dass sie niemals eine Beziehung würden haben können.
All diese Gedanken zucken mir innerhalb von Sekunden durch den Kopf. »Metias war in Sie verliebt«, flüstere ich.
Thomas antwortet nicht.
»Was ist? Stimmt es etwa nicht? Sie müssen doch davon gewusst haben.«
Thomas sagt noch immer nichts. Stattdessen hält er den Kopf in den Händen vergraben und wiederholt: »Ich habe einen Eid geleistet.«
»Moment mal. Das verstehe ich nicht.« Ich lehne mich zurück und hole tief Luft. Meine Gedanken purzeln durcheinander, bis nur noch ein wirrer Haufen übrig ist. Thomas’ Schweigen verrät mir mehr als alles, was er gesagt hat.
»Metias hat Sie geliebt«, sage ich langsam. Meine Stimme bebt. »Er hat so viel für Sie getan. Und trotzdem haben Sie ihn verraten?« Ich schüttele ungläubig den Kopf. »Wie konnten Sie nur?«
Thomas hebt den Kopf und blickt mich an, Verwirrung huscht über sein Gesicht. »Ich war es nicht, der ihn gemeldet hat.«
Eine Weile blicken wir uns wortlos an. Schließlich presse ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Dann sagen Sie mir, was passiert ist.«
Thomas starrt ins Leere. »Irgendwelche Sicherheitsleute haben Spuren gefunden, die er zurückgelassen hat, als er sich Zugang zu den geheimen Datenbanken verschafft hat. Zu den Totenregistern. Die Sicherheitsleute haben erst mal mir davon erzählt, sie gingen davon aus, dass ich Commander Jameson informieren würde. Ich habe Metias immer vor solchen Hacker-Aktionen gewarnt. Wenn man der Republik zu oft in die Quere kommt, verbrennt man sich irgendwann
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