Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
wollen würde?«
Andens Augen blitzen vor Entschlossenheit. »Ich will die Republik verändern und ich will damit anfangen, indem ich Days Bruder freilasse.«
Mein Mund ist trocken. Mit einem Mal wünsche ich mir, wir könnten so laut miteinander reden, dass Day uns hört. »Sie wollen Eden freilassen?«
»Er hätte nie von seiner Familie getrennt werden dürfen. Ich habe vor, ihn zusammen mit allen anderen freizulassen, die zu militärischen Zwecken festgehalten werden.«
»Wo ist er?«, flüstere ich. »Wann haben Sie –«
»Eden ist seit ein paar Wochen entlang der Front unterwegs. Mein Vater hat ihn zusammen mit ein paar anderen mitgenommen und als eine neue Art von Kriegsführung genutzt. Sie werden sozusagen als lebendige biologische Waffen eingesetzt.« Andens Miene verfinstert sich. »Ich will diesem Wahnsinn ein Ende machen. Mein Befehl geht morgen raus – Eden wird von der Front geholt und in einem Krankenhaus in der Hauptstadt behandelt.«
Das ist neu. Das ändert alles.
Ich muss einen Weg finden, Day von Edens Freilassung zu erzählen, bevor er und die Patrioten den einzigen Menschen töten, der sie in die Wege leiten kann. Wie kann ich am besten mit ihm in Kontakt treten? Die Patrioten verfolgen mit Sicherheit jede meiner Bewegungen mithilfe ihrer Kameras, denke ich und mein Verstand arbeitet auf Hochtouren. Ich muss ihm ein Zeichen geben. Plötzlich sehe ich Days Gesicht vor mir und würde am liebsten auf ihn zustürmen. Ich will ihm so gerne die guten Neuigkeiten erzählen.
Aber sind es wirklich gute Neuigkeiten? Mein Sinn für Pragmatik meldet sich zu Wort und ermahnt mich, die Dinge langsam anzugehen. Anden könnte lügen und das alles hier könnte eine Falle sein. Doch wenn er Day nach wie vor verhaften wollte, warum droht er ihm dann nicht einfach damit, Eden zu töten? Das würde Day ganz sicher aus seinem Versteck locken. Stattdessen aber will er Eden freilassen.
Anden wartet geduldig, während ich schweige. »Ich brauche Days Vertrauen«, murmelt er.
Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und bewege meinen Mund näher an sein Ohr. Er riecht nach Sandelholz und sauberer Wolle. »Ich muss irgendwie mit ihm in Kontakt treten und ihn davon überzeugen. Aber wenn Sie seinen Bruder freilassen, dürfte Ihnen sein Vertrauen sicher sein.«
»Ich will auch Ihr Vertrauen. Ich will, dass Sie an mich glauben. Genauso wie ich an Sie glaube. Das tue ich schon sehr lange.« Er schweigt eine Sekunde. Dann wird sein Atem schneller und der Ausdruck in seinen Augen verändert sich abrupt. Der distanzierte Politiker ist verschwunden, in diesem Moment ist er nichts als ein junger Mann, ein Mensch, und das Prickeln zwischen uns ist beinahe unerträglich. Im nächsten Moment wendet er den Kopf und unser beider Lippen treffen sich.
Ich schließe die Augen. Sein Kuss ist so sanft. Kaum spürbar – und doch sehne ich mich sofort nach mehr. In Days Küssen liegen Feuer und Begehren, sogar Wut, eine Art tiefe Verzweiflung und Schmerz. Andens Kuss dagegen ist zärtlich und voller Anmut, aristokratischer Feinheit, Macht und Eleganz. Abwechselnd erfüllen mich Entzücken und Scham. Kann Day uns durch irgendeine Kamera sehen? Der Gedanke versetzt mir einen Stich.
Nach ein paar Sekunden löst sich Anden von mir. Ich atme aus, öffne die Augen und sehe wieder den Rest des Zimmers. Er ist schon eine ganze Weile hier bei mir – wenn er noch länger bleibt, könnten die Wachen draußen vor der Tür unruhig werden.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, sagt er und neigt ein wenig den Kopf, bevor er aufsteht und seinen Mantel zurechtzieht. Er hat sich wieder in den Schutz der Förmlichkeit geflüchtet, doch seine Haltung wirkt auf einmal einen Hauch ungelenk und auf seinen Lippen liegt ein leichtes Lächeln. »Ruhen Sie sich aus. Wir unterhalten uns morgen weiter.«
Als er weg ist und sich wieder die gewohnte zähe Stille über den Raum gesenkt hat, ziehe ich meine Knie bis zum Kinn hoch. Meine Lippen brennen noch immer von seiner Berührung. Ich denke über das nach, was Anden gerade zu mir gesagt hat, und meine Finger fahren immer wieder über den Büroklammerring an meiner Hand. Die Patrioten haben Day und mich angeheuert, damit wir ihnen dabei helfen, diesen jungen Elektor zu ermorden. Durch den Mord, haben sie gesagt, könnten wir einer Revolution den Weg bereiten, die uns von der Republik befreien wird. Wir könnten den Vereinigten Staaten wieder zu ihrer alten Größe verhelfen. Aber was bedeutet das
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