Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
durch den Regen, Blut rinnt von seinem Bein und hinterlässt eine Spur auf dem Asphalt. Ich sehe noch, wie er vor Razor auf die Knie fällt, dann verschwindet auch dieses Bild wieder. Es kostet mich alle Beherrschung, die ich aufbringen kann, meine Stimme fest klingen zu lassen. »Die hatte ich.«
»Planen die Patrioten einen Mordanschlag auf unseren ehrwürdigen Elektor?«
Hier muss ich nicht lügen. Ich lasse meinen Blick zu Anden hinüberwandern, der mir zunickt, als wollte er mich ermutigen. »Ja.«
»Und wissen die Patrioten, dass Sie über dieses Vorhaben informiert sind?«
»Nein.«
Dr. Sadhwani wirft einen Blick zu ihren Kollegen. Nach ein paar Sekunden nickt sie und dreht sich wieder zu mir um. Der Detektor meldet, dass ich die Wahrheit gesagt habe . »Gibt es im unmittelbaren Umfeld des Elektors Soldaten, die an diesem Anschlag beteiligt sein werden?«
»Ja.«
Wieder ein paar Sekunden Schweigen, während die Testleiterin und ihre Kollegen meine Antwort prüfen. Auch diesmal nickt sie. Dann dreht sie sich zu Anden und den Senatoren um. »Sie sagt die Wahrheit.«
Anden erwidert ihr Nicken. »Gut«, sagt er und seine Stimme dringt gedämpft durch das Glas. »Fahren Sie fort, bitte.« Die beiden Senatoren haben die Arme vor der Brust verschränkt, die Lippen aufeinandergepresst.
Dr. Sadhwanis Fragen nehmen kein Ende, sie drohen mich in einem unendlichen Strudel in die Tiefe zu reißen. Wann soll der Mordanschlag stattfinden? In Lamar, Colorado, auf der geplanten Frontreise des Elektors. Können Sie uns sagen, wo der Elektor in Sicherheit wäre? Ja. Wohin sollte er Ihrer Meinung nach gehen? In eine andere Stadt an der Grenze. Wird Day an diesem Mordanschlag beteiligt sein? Ja. Was hat er damit zu tun? Er steht in der Schuld der Patrioten, weil sie sein verletztes Bein behandelt haben.
»Lamar«, murmelt Dr. Sadhwani, während sie noch mehr Anmerkungen in ihr kleines schwarzes Gerät tippt. »Ich würde sagen, dann wird der Elektor seine Reiseroute wohl ändern.«
Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung unseres Plans ist getan.
Schließlich enden die Fragen. Dr. Sadhwani dreht mir den Rücken zu, um sich mit den anderen zu beraten, während ich aufatme und mich gegen die Detektorapparatur sinken lasse. Ich habe genau zwei Stunden und fünf Minuten hier gestanden. Ich fange Andens Blick auf. Er steht noch immer an der Glastür, flankiert von Soldaten, die Arme fest über der Brust verschränkt.
»Warten Sie«, sagt er. Das Team unterbricht sein Gespräch und blickt den Elektor an. »Ich habe noch eine letzte Frage an unseren Gast.«
Dr. Sadhwani blinzelt und gestikuliert in meine Richtung. »Selbstverständlich, Elektor. Bitte.«
Anden tritt näher an die Glasscheibe, die uns voneinander trennt. »Warum wollen Sie mir helfen?«
Ich straffe die Schultern und blicke ihm direkt in die Augen. »Weil ich begnadigt werden möchte.«
»Gilt Ihre Loyalität der Republik?«
Eine letzte Abfolge von Erinnerungen nimmt vor meinen Augen Gestalt an. Ich sehe mich auf der Straße im Ruby-Sektor, an der Hand meines Bruders. Wir salutieren in Richtung der JumboTrons und sprechen das Gelöbnis mit. Als Nächstes sehe ich Metias’ Gesicht, sein Lächeln, seine sorgenvolle Miene an jenem letzten Abend, bevor er gestorben ist. Dann die Republikflaggen bei der Bestattung meines Bruders. Metias’ geheime Online-Aufzeichnungen ziehen vor meinen Augen vorbei – seine warnenden Worte, seine Wut auf die Republik. Ich sehe Thomas, wie er seine Waffe auf Days Mutter richtet; ich sehe, wie ihr Kopf von der Wucht der Gewehrkugel zurückgeschleudert wird. Sie bricht zusammen. Es ist meine Schuld. Ich sehe Thomas, der im Verhörzimmer seinen Kopf in den Händen vergräbt, gequält, sehe seinen blinden Gehorsam und dass das, was er getan hat, ihn für immer verfolgen wird.
In mir ist keine Loyalität mehr. Oder? Ich sitze hier mitten in der Hauptstadt der Republik und unterstütze die Patrioten bei ihrem Plan, den Elektor zu ermorden. Einen Mann, dem ich einst meine Treue geschworen habe. Ich werde ihn töten und anschließend fliehen. Ich weiß, dass der Detektor meine Lüge auffliegen lassen wird – ich bin unkonzentriert, hin- und hergerissen zwischen meinem Bedürfnis, das, was ich Day angetan habe, wiedergutzumachen, und meinem Unwillen, die Republik in die Hände der Patrioten zu geben.
Ein Schauer durchläuft mich. Es sind nur Bilder. Nur Erinnerungen . Ich schweige, bis mein Herzschlag sich
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