Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Titel: Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
Vom Netzwerk:
Thomas’ geschniegelten weißen Anzug, die weißen Lilien und weißen Teppiche.
    Der Zug wird schneller. Ich lehne mich zum Fenster hinüber, bis meine Wange beinahe das kalte Glas berührt, und starre schweigend nach draußen, während wir uns dem mächtigen Panzerwall nähern, der Denver umschließt. Selbst im Dunkeln kann ich die Bahntunnel erkennen, die dort in den Stein getrieben wurden; einige von ihnen sind mit massiven Eisentoren verschlossen, andere wiederum bleiben für nächtliche Güterzüge geöffnet. Unser Zug braust durch eine der Öffnungen hindurch – wie es aussieht, werden Züge, die die Stadt verlassen, nicht angehalten und kontrolliert, erst recht nicht, wenn der Elektor selbst an Bord ist. Als wir den wuchtigen Wall hinter uns lassen, sehe ich, wie ein uns entgegenkommender Zug für die Inspektion an einem Kontrollpunkt bremst.
    Wir fahren weiter, verschmelzen mit der Nacht. Die verwitterten Wolkenkratzer der Armensektoren ziehen an den Fenstern vorbei, ein Anblick, der mir inzwischen allzu vertraut ist, seit ich am eigenen Leib erfahren habe, wie die Menschen am Stadtrand leben. Ich bin zu müde, um auf Details zu achten. Im Geiste gehe ich noch einmal Andens Worte vom Abend zuvor durch und ende wieder bei der unlösbaren Frage, wie ich ihn warnen kann, ohne dabei Day in Gefahr zu bringen. Wenn ich Anden zu früh von dem geplanten Anschlag erzähle, werden die Patrioten sofort wissen, dass ich sie verraten habe. Ich muss mir jeden Schritt genau überlegen und darf den Plan erst unmittelbar vor dem Mord sabotieren, wenn ich wieder in Days Nähe bin.
    Ich wünschte, ich könnte Anden jetzt schon warnen. Ihm alles erzählen, es hinter mich bringen. Wenn Day nicht wäre, würde ich genau das tun. Wenn Day nicht wäre, wären eine ganze Menge Dinge anders. Ich denke an die Albträume, die mich seit einiger Zeit quälen, das schreckliche Bild, wie Razor Day eine Kugel in die Brust schießt. Ich spüre den Büroklammerring schwer an meiner Hand. Wieder hebe ich zwei Finger an die Augenbraue. Wenn Day mein erstes Zeichen nicht gesehen haben sollte, erreicht ihn vielleicht dieses hier. Die Wachen scheinen nichts Ungewöhnliches an meinem Verhalten zu finden; für sie muss es so aussehen, als stützte ich bloß meinen Kopf.
    Der Bahnwaggon neigt sich ein wenig zur Seite und eine Welle von Schwindel überspült mich. Vielleicht vernebelt mir diese Erkältung – wenn es denn wirklich eine Erkältung ist, die ich da ausbrüte, und nichts Ernsteres – inzwischen schon den Verstand. Trotzdem frage ich nicht nach einem Arzt oder Medikamenten. Medikamente legen das körpereigene Immunsystem lahm, darum habe ich es schon immer vorgezogen, Krankheiten auf eigene Faust zu bekämpfen (sehr zu Metias’ Verzweiflung).
    Warum führen mich so viele meiner Gedanken zu Metias?
    Eine aggressive Stimme reißt mich aus meinen Grübeleien. Ich wende mich vom Fenster ab und dem Inneren des Bahnwaggons zu. Sie klingt nach einem älteren Mann. Ich richte mich in meinem Sitz auf und sehe durch das kleine Fenster in der Abteiltür zwei Männer auf mich zukommen. Der eine ist der, den ich bereits gehört habe, gedrungen und untersetzt, mit einem struppigen grauen Bart und einer kleinen Knollennase. Der andere ist Anden. Ich spitze die Ohren, um zu verstehen, was sie sagen – zuerst erreichen mich nur Bruchstücke ihres Gesprächs, doch je näher sie meinem Abteil kommen, desto klarer werden ihre Stimmen.
    »Elektor, ich bitte Sie, es ist doch nur zu Ihrem eigenen Besten. Rebellisches Verhalten muss hart bestraft werden. Wenn Sie auf so etwas nicht angemessen reagieren, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis in diesem Land das Chaos ausbricht.«
    Anden, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf den Mann hinunterblickt, hört geduldig zu. »Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, Senator Kamion, aber mein Entschluss steht fest. Dies ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um die Unruhen in Los Angeles mit militärischer Gewalt niederzuschlagen.«
    Diese Worte lassen mich aufhorchen. Der ältere Mann breitet in einer frustrierten Geste die Arme aus. »Weisen Sie die Leute in ihre Grenzen. Sie brauchen solche Aktionen, Elektor. Sie müssen den Menschen Ihren unbeugsamen Willen demonstrieren.«
    Anden schüttelt den Kopf. »Damit würde ich das Ganze nur noch viel schlimmer machen, Senator. Ich soll zu solch drastischen Mitteln greifen, noch bevor ich auch nur eine einzige der Veränderungen, die mir vorschweben, in die

Weitere Kostenlose Bücher