Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
solcher Anschläge anführen.«
»Das ist sehr freundlich, Elektor. Es ist mir eine Ehre«, antworte ich und deute mit dem Kopf eine Verbeugung an. »Und, wenn Sie mir die Frage gestatten, gilt die Begnadigung auch für meinen Hund?«
Anden schmunzelt. »Ihr Hund ist in der Hauptstadt in guten Händen; er wartet dort bei Ihrer Rückkehr auf Sie.«
Ich sehe Anden in die Augen und halte seinen Blick einen Moment lang fest. Seine Pupillen weiten sich und seine Wangen werden leicht rot. »Ich kann verstehen, warum die Senatoren Probleme mit Ihrer Nachsichtigkeit haben«, sage ich schließlich. »Aber im Augenblick kann Sie nun mal niemand so gut beschützen wie ich.« Ich brauche einen Moment allein mit ihm. »Aber es muss noch einen anderen Grund für Ihre Freundlichkeit geben. Oder?«
Anden schluckt und blickt zu seinem Porträt auf. Meine Augen huschen zu den Wachen an der Abteiltür. Als hätte er meine Gedanken gelesen, gibt Anden ihnen ein Zeichen und deutet anschließend auf die Sicherheitskameras an der Decke. Die Soldaten verlassen das Abteil und einen Moment später verlöschen auch die roten Lämpchen an den Kameras. Zum ersten Mal sind wir unbeobachtet. Vollkommen allein.
»Die Wahrheit ist«, fährt Anden fort, »dass Sie beim Volk unglaublich beliebt sind. Wenn die Menschen erfahren, dass das begabteste Wunderkind der Republik wegen Hochverrats verurteilt oder ihm auch nur wegen Untreue sein Dienstrang aberkannt wurde – nun, Sie können sich ja denken, dass das ein schlechtes Licht auf die Regierung werfen würde. Und auf mich. Und das weiß auch der Kongress.«
Meine Hände ziehen sich wieder in meinen Schoß zurück. »Der Senat und Sie haben offenbar sehr unterschiedliche Moralvorstellungen«, bemerke ich, während ich über das Gespräch zwischen Anden und Senator Kamion nachdenke. »So scheint es mir zumindest.«
Er schüttelt den Kopf und lächelt bitter. »Um es vorsichtig auszudrücken, ja.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie dem Großen Test so ablehnend gegenüberstehen.«
Anden nickt. Er wirkt nicht überrascht, dass ich das Gespräch belauscht habe. »Der Große Test ist eine völlig veraltete Methode, um die Besten und Fähigsten unseres Landes herauszufiltern.«
Es ist seltsam, diese Worte aus dem Mund des Elektors zu hören. »Warum sind die Senatoren dann so entschlossen, ihn beizubehalten? Was für ein Interesse haben sie daran?«
Anden zuckt mit den Schultern. »Das ist eine lange Geschichte. Damals, als die Republik den Test eingeführt hat, war er noch … anders.«
Ich beuge mich vor. Ich habe noch nie Geschichten über die Republik gehört, die nicht das Filtersystem der Bildungsanstalten oder der staatlichen Pressezensur durchlaufen haben – und nun könnte der Elektor selbst mir eine erzählen. »Anders?«, frage ich.
»Mein Vater war … ein sehr charismatischer Mann.« Andens Stimme klingt nun einen Hauch verteidigend.
Seltsame Antwort. »Ich bin sicher, dass er sehr überzeugend sein konnte«, erwidere ich und gebe mir Mühe, meine Worte neutral klingen zu lassen.
Anden schlägt die Beine übereinander und lehnt sich zurück. »Es gefällt mir nicht, was aus der Republik geworden ist.« Er spricht jedes seiner Worte langsam und mit Bedacht aus. »Aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich nicht verstehe, warum sich alles so entwickelt hat. Mein Vater hatte seine Gründe für das, was er getan hat.«
Ich runzele die Stirn. Merkwürdig. War er nicht gerade noch vehement dagegen, einen Aufstand mit Gewalt niederzuschlagen? »Was meinen Sie damit?«
Anden öffnet den Mund und schließt ihn wieder, so als suchte er nach den richtigen Worten. »Bevor mein Vater Elektor geworden ist, war der Große Test noch freiwillig.« Er hält inne, als er hört, wie ich scharf die Luft einsauge. »Heute weiß das so gut wie keiner mehr – es ist lange her.«
Der Große Test war freiwillig. Eine unfassbare Vorstellung. »Warum hat er das geändert?«
»Wie ich schon sagte, es ist eine lange Geschichte. Die meisten Leute werden nie die Wahrheit über die Entstehung der Republik erfahren und das hat seinen Grund.« Er fährt sich mit der Hand durch sein welliges Haar und stützt sich dann mit dem Ellbogen aufs Fensterbrett. »Wollen Sie es wissen?«
Eine absolut rhetorische Frage, hinter der ich eine gewisse Einsamkeit zu erahnen meine. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, jetzt aber wird mir klar, dass ich vermutlich zu den wenigen Menschen gehöre, mit denen Anden jemals
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