Legend - Fallender Himmel
langsam zunehmende Tageslicht die schäumenden Wasserräder und Turbinen golden färbt. Eine permanente Nebelwolke hängt über diesem Teil des Sees. Ein Stück weiter, am anderen Ufer, sehe ich die Innenstadt von Los Angeles, direkt am Wasser gelegen. Ein Straßenpolizist tritt auf mich zu und fordert mich auf, nicht hier herumzulungern, sondern weiterzugehen. Ich nicke wortlos und laufe weiter am Seeufer entlang.
Aus der Ferne betrachtet, füge ich mich perfekt in mein Umfeld ein. Mein kurzärmeliges Hemd habe ich aus einem Secondhandladen an der Grenze zwischen Lake und Winter. Meine Hose ist zerrissen und dreckverschmiert, das Leder meiner Stiefel brüchig. Diesmal habe ich genau darauf geachtet, mit welcher Art Knoten ich meine Stiefel schnüre. Es ist ein simpler Kreuzknoten, den jeder normale Arbeiter kennt. Meine Haare habe ich zu einem straffen, hohen Pferdeschwanz gebunden und darüber trage ich eine alte Ballonmütze.
Days Kette ist sicher in meiner Tasche verstaut.
Ich kann kaum glauben, wie verdreckt die Straßen hier sind. Wahrscheinlich sogar noch schlimmer als in den heruntergekommenen Außenbezirken von Los Angeles. Die Straßen befinden sich fast auf einer Höhe mit dem Wasser (genau wie in den anderen Armenvierteln, die alle ähnlich auszusehen scheinen), sodass im Fall eines Sturms sämtliche Straßen in Ufernähe mit der schmutzigen, von Abwasser verunreinigten Brühe überschwemmt werden. Der Putz an den Gebäuden ist ausgeblichen, pockennarbig und bröckelt - natürlich mit Ausnahme der Polizeiwache. Die Leute gehen um die Müllberge, die sich an den Hauswänden stapeln, als wären sie gar nicht da. Überall schwirren Fliegen und in der Nähe der Müllhaufen lungern streunende Hunde herum - wie auch ein paar Menschen. Ich rümpfe die Nase über den Gestank (rauchende Laternen, Schmieröl, Abwasser). Dann bleibe ich stehen und mir wird bewusst, dass ich, wenn ich als Bewohnerin des Lake-Sektors durchgehen will, wohl besser so tun sollte, als wäre ich an diesen Geruch gewöhnt.
Ein paar Männer grinsen mich an, als ich an ihnen vorbeigehe. Einer ruft mir sogar etwas hinterher. Ich ignoriere sie und laufe einfach weiter. Was für ein Haufen von Versagern - Männer, die wahrscheinlich gerade mal mit Ach und Krach den Großen Test bestanden haben. Ich frage mich, ob ich mich bei diesen Leuten wohl mit der Seuche anstecken könnte, obwohl ich geimpft bin. Wer weiß schon, wo die sich so rumtreiben?
Dann rufe ich mich zur Ordnung. Metias hat mich immer ermahnt, die Armen nie auf diese Weise zu verurteilen. Tja, dann war er wohl einfach ein besserer Mensch als ich, denke ich verbittert.
Das winzige Mikrofon auf der Innenseite meiner Wange vibriert leicht. Dann dringt ein schwaches Geräusch aus dem Hörer. »Ms Iparis.« Thomas’ Stimme ist kaum mehr als ein winziges Murmeln, das nur ich hören kann. »Alles so weit in Ordnung?«
»Ja«, raune ich zurück. Das Mikrofon nimmt die Vibrationen meiner Stimmbänder auf. »Bin im Zentrum von Lake. Gehe jetzt eine Weile auf off.«
»Verstanden«, erwidert Thomas und auf seiner Seite wird es wieder still.
Ich mache mit der Zunge ein Schnalzgeräusch, um das Mikrofon auszuschalten.
Den größten Teil des Morgens verbringe ich damit, so zu tun, als würde ich Mülltonnen durchwühlen. Von den anderen Bettlern höre ich Geschichten über Seuchenopfer, um welche Gebiete sich die Polizei am meisten Sorgen macht und welche sich langsam wieder erholen. Sie tauschen sich über die besten Orte aus, um Essen oder sauberes Wasser zu finden. Die sichersten Zufluchtsorte bei Hurrikans. Einige der Bettler sehen zu jung aus, um überhaupt schon den Großen Test absolviert zu haben. Die jüngsten reden über ihre Eltern und darüber, wie man am besten einen Soldaten bestiehlt.
Keiner redet über Day.
Die Stunden verrinnen und schließlich wird es Abend, dann Nacht. Ich suche mir eine ruhige Gasse, in der schon ein paar andere Bettler in Mülltonnen schlafen, rolle mich in einer dunklen Ecke zusammen und schnalze mein Mikrofon an. Dann ziehe ich Days Anhänger aus der Tasche und halte ihn ein Stück hoch, um die kleinen Unebenheiten in der ansonsten glatten Oberfläche zu studieren.
»Mache jetzt Feierabend«, murmele ich. Meine Kehle vibriert kaum merklich.
Aus meinem Ohrhörer dringt schwaches statisches Rauschen. »Ms Iparis?«, antwortet Thomas. »Schon Glück gehabt heute?«
»Nein, kein Glück. Ich versuche es morgen mal an ein paar öffentlichen
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