Legend - Fallender Himmel
abberufen, um zu helfen, das heißt, mein gesamter Zeitplan ist durcheinander. Ich musste schon einen meiner besten Männer mit einer Platzwunde im Gesicht hierherschicken. Unsere Jungs sind viel zu schade für euch dreckige Herumtreiber.« Angewidert stößt sie mein Gesicht weg und kehrt mir den Rücken zu. »Bringen Sie ihn weg«, ruft sie den Soldaten zu, die mich festhalten. »Und zwar schnell!«
Wir verlassen das Behandlungszimmer. Auf dem Flur eilen Soldaten hin und her. Commander Jameson drückt sich eine Hand aufs Ohr und lauscht konzentriert, dann ruft sie ein paar Befehle. Als die Soldaten mich in Richtung der Aufzüge zerren, kann ich mehrere große Bildschirme sehen - für eine Sekunde bleibe ich beeindruckt davor stehen, denn im Lake-Sektor haben wir so etwas nicht -, die genau die passenden Bilder zu dem senden, wovon Commander Jameson eben berichtet hat. Den dazugehörigen Ton kann ich nicht hören, aber die Schlagzeilen sind unmissverständlich: Ausschreitungen in Batalla. Truppen greifen ein. Warten auf weitere Befehle.
Das ist keine normale Demonstration, schießt es mir durch den Kopf. Der Bildschirm zeigt den Vorplatz der Batalla-Zentrale, auf dem sich mehrere Hundert Menschen drängen. Ich sehe die Reihe schwarz gekleideter Soldaten, die mühsam versuchen, die Menge unter Kontrolle zu halten. Andere Soldaten laufen über Dächer und Simse, um sich mit ihren Gewehren in Position zu bringen. Als wir am letzten Monitor Vorbeigehen, kann ich ein paar von den Aufständischen, die sich unter den Straßenlaternen versammelt haben, genauer erkennen.
Einige von ihnen haben eine blutrot gefärbte Haarsträhne.
Dann erreichen wir die Aufzüge und die Soldaten schieben mich hinein.
Sie protestieren meinetwegen. Der Gedanke erfüllt mich mit Aufregung und Furcht. Das wird das Militär ihnen niemals durchgehen lassen. Sie werden die Armensektoren komplett abriegeln und jeden einzelnen Demonstranten auf dem Platz festnehmen.
Oder sie töten.
JUNE
Als ich noch jünger war, wurde Metias manchmal zu kleineren Aufständen gerufen und hinterher erzählte er mir davon. Es war immer dieselbe Geschichte: Ungefähr ein Dutzend Arme (in der Regel Jugendliche oder ein bisschen älter) stifteten in einem der Sektoren Unruhe, weil sie wütend über Seuchenquarantänen oder Steuern waren. Ein paar Staubbomben später waren sie dann alle verhaftet und auf dem Weg zum Gericht.
Aber eine Revolte wie die heute, bei der Hunderte von Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, habe ich noch nie gesehen. Noch nicht mal etwas, das dem nahekommen würde.
»Was ist denn los mit den Leuten?«, frage ich Thomas. »Die müssen verrückt geworden sein.« Zusammen mit seinen Soldaten stehen wir auf einer etwas erhöht liegenden Plattform vor der Batalla-Zentrale und blicken in die Menge vor uns, während eine weitere von Commander Jamesons Einheiten die Menschen mit Schutzschilden und Schlagstöcken zurückdrängt.
Vorhin habe ich einen kurzen Blick zu Day hineingeworfen, während der Arzt sein Bein operierte. Ich frage mich, ob er inzwischen wach ist und über die Bildschirme im Gebäude etwas von dem Chaos mitbekommt. Ich hoffe, nicht. Besser, wenn er nicht sieht, was er da ausgelöst hat. Allein der Gedanke an ihn - und seine Anschuldigungen gegen die Republik, sie verbreite die Seuchen selbst und töte die Kinder, die den Großen Test nicht bestehen - erfüllt mich mit Wut.
Ich ziehe meine Pistole aus dem Holster. Kann nicht schaden, sie schussbereit zu haben.
»Haben Sie so etwas wie das hier jemals gesehen?« Ich versuche, meine Stimme ruhig zu halten.
Thomas schüttelt den Kopf. »Nur ein einziges Mal. Und das ist ziemlich lange her.« Sein dunkles Haar ist nicht so ordentlich zurückgekämmt wie sonst und hängt ihm ins Gesicht - er muss heute schon unten in der Menge gewesen sein. Eine Hand liegt auf der Pistole an seinem Gürtel, die andere auf dem Gewehr, das er sich über die Schulter geschlungen hat. Er blickt mich nicht an. Seit er letzte Nacht versucht hat, mich zu küssen, hat er mir kein einziges Mal direkt in die Augen gesehen. »So ein Haufen Idioten. Wenn die nicht bald Vernunft annehmen, werden die Commander dafür sorgen, dass sie es bereuen.«
Ich werfe einen Blick zu einem der Balkone der Batalla-Zentrale hinauf, wo ein paar Commander stehen. Es ist zu dunkel, um es genau zu erkennen, aber ich glaube, Commander Jameson ist nicht dabei. Ich weiß nur, dass sie in diesem Moment Befehle in ihr Mikrofon ruft,
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