Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
erzählte sie ihm in knappen, abgehackten Worten die gesamte Geschichte. Die Verhaftung, ihr Treffen mit Banage, die Anschuldigungen und Herns Kompromiss.
»Ein Kompromiss, kannst du das fassen?«, sagte sie und vergrub ihre Finger tief in der Erde. »Eher eine Erpressung.«
»Ein Leben als Turmwächter klingt doch gar nicht so grauenhaft«, bot Gin an.
»Das wäre es nicht«, sagte Miranda, »wenn mir diese Beförderung nicht deswegen zuteilwürde, weil Hern sein Spiel mit Banages Pflichtbewusstsein mir gegenüber treibt! Oh, ich möchte gar nicht daran denken, welche anderen Zugeständnisse an Hern Banage noch machen musste, um das auszuhandeln. Dieser Mann ist Dreck.«
»Aber wenn Banage diese Zugeständnisse bereits gemacht hat, warum nimmst du das Angebot dann nicht an?«, fragte Gin und wedelte mit dem Schwanz. »Das Problem ist, dass die Turmwächter denken, deine Handlungen könnten ein schlechtes Bild auf sie werfen, richtig? Dann lass sie ihren Prozess doch haben. Wenn du recht hast und Hern das Ganze nur tut, weil es ein schlechtes Licht auf Banage wirft, warum die Sache noch anheizen, indem du kämpfst? Wenn du dich streng an die Rolle der pflichtbewussten Spiritistin hältst, kann niemand etwas an dir aussetzen.«
Miranda warf ihm einen schiefen Blick zu. »Das ist eine sehr politische Antwort für einen Hund, der immer behauptet, er hätte keine Ahnung von Politik.«
»Ich verstehe auch nichts von Politik«, knurrte Gin. »Aber ich verstehe eine Menge von Stolz, und darum geht es hier eigentlich. Manchmal ist der Preis dafür, das Richtige zu tun, sehr hoch; zumindest höher, als wir in dem Moment dachten, da wir es taten. Hättest du dich in Mellinor anders verhalten, wenn du die Konsequenzen gekannt hättest?«
Miranda erstarrte und dachte einen Moment intensiv nach. »Nein«, erklärte sie dann bestimmt.
»Da hast du’s«, meinte Gin mit einem Achselzucken. »Also zahl den Preis. Nimm die Lösung an, die Banage für dich erkauft hat, beschwichtige den Stolz der Turmwächter und mach weiter mit deinem Leben.«
»Das werde ich nicht«, antwortete Miranda. »Vielleicht geht es hier um Stolz, um meinen ebenso wie um den von anderen, aber ich kann und will mich Herns Tyrannei nicht einfach unterordnen. Die Dinge, derer er mich beschuldigt, sind nie geschehen, und ich werde nicht einfach ruhig dastehen, während er meinen Namen und den meiner Geister mit seinen Lügen beschmutzt.«
»Also, was willst du tun? Banages Hilfe in den Wind schlagen?«, knurrte Gin. »Was ist mit der Gefahr? Wenn du diesen Prozess verlierst, könntest du auch deine Geister verlieren. Dein Stolz gehört dir, und du hast jederzeit das Recht, dir deswegen einen blutigen Kopf zu holen, aber wir Geister sind nichts, was man so leichtfertig wegwerfen sollte.«
»Das wird nicht geschehen«, beteuerte Miranda heftig und verschränkte die Hände so fest, dass sich ihre Ringe in ihr Fleisch bohrten. »Vertrau mir, wir haben das Recht auf unserer Seite. Wir werden nicht verlieren, besonders nicht gegen Hern.«
Gin sah sie lange an, seine orangefarbenen Augen waren nur noch Schlitze. »Und du würdest uns alle darauf verwetten?«
Miranda antwortete nicht. Für eine Weile saßen sie schweigend da und starrten auf die dämmrigen Straßen. Gin war sehr still; er beobachtete Miranda auf eine Art, wie nur Geister es tun. Er konnte jeden von Mirandas Geistern sehen, konnte sehen, wie ihre Seelen sich mit jedem von Mirandas Herzschlägen bewegten. Jeder Geist strahlte in seiner eigenen, einzigartigen Farbe, und darunter, tief unter Mirandas eigener, heller Seele, ruhte Mellinors Geist im Schlaf. Der Große Geist war riesig und selbst für Gin sehr fremd und unbegreiflich alt, doch auch er war jetzt Teil von Miranda. Deswegen war er auch dem Hund ans Herz gewachsen, selbst über die natürliche Ehrfurcht hinaus, die er einem Großen Geist schuldete. Jeder leuchtende Geist, selbst Mellinor, streckte einen dünnen Arm aus seinem Innersten. Das waren die Bindungen, die starken, tief reichenden Verknüpfungen durch bindende Versprechen, in deren Mitte Miranda stand. Sie alle, selbst der winzige Moosgeist, hatten ihr Zuhause aufgegeben, um Miranda zu folgen. Von dem Moment an, da sie ihren Eid geschworen hatten, war Miranda zu ihrer Mitte geworden, zu ihrem Großen Geist, zu ihrer Herrin, die es wert war, ihr zu dienen. Der Gedanke, dass man ihn von ihr trennen könnte, jagte Gin eine Angst ein, wie er sie seit seiner Welpenzeit nicht mehr
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