Legenden d. Albae (epub)
nicht, dass ich mich jemals vor etwas oder jemandem fürchten musste. Nicht im Sinne von Todesfurcht.« Er schluckte. »Aber derzeit steckt etwas in mir, auf das ich nicht vorbereitet war«, fügte er leiser hinzu. »Ich trage den Tod
in
mir. Mein Leben verlief mit der Gewissheit,durch Gewalt oder einen Unfall zu sterben, aber nicht, weil ich alt und gebrechlich werden oder weil mein Körper zerfallen könnte.« Zu seinem eigenen Erstaunen empfand er es als erleichternd, sich die Last von der Seele zu reden. Wieder fing er sich Wasser auf und rieb sich damit über das Gesicht, das ihm sehr heiß vorkam. »Die Alchemikanten flößten mir den Tod ein. Nun steckt er in mir, sickert in die kleinste Ecke meines Leibes und tötet mich.« Er seufzte. »Ich denke, dass ich mich
davor
fürchte. Vor dem Gefühl des Sterbens. Ich weiß nicht einmal, wie und wann ich vergehen werde: Stockt mein Herz? Gerinnt mein Blut? Zerfließt mein Gehirn?« Er schloss die Lider, atmete ein und aus.
»Es ist die Ungewissheit, die Euch verzagen lässt, Gebieter«, sagte Raleeha tröstend. »Eine solche Ungewissheit über den Zeitpunkt des Todes verfolgt die Menschen ihr ganzes Leben. Wir wissen, dass wir sterben. Mit Sicherheit sterben. Euch wurde eines Eurer Privilegien genommen, Gebieter.«
»Das größte von allen«, setzte er nachdenklich hinzu und sah sie an. »Ich hielt es für selbstverständlich wie das Luftschöpfen oder meinen Herzschlag.« Caphalor legte den nächsten Bissen, den er zwischen den Fingern hielt, zurück in das Wachspapier und wickelte ihn zusammen mit den anderen ein. Ihm war nicht mehr nach essen.
»Euer Erbe ist gesichert, Gebieter?«, hakte sie behutsam ein.
»Ja, das ist es.« Ohne dass er es wollte, berichtete er von Enoïla, von seinen Kindern, von deren Leben, bis er bemerkte, dass die Sklavin erschöpft eingeschlafen war.
Du Glückliche. Mir hat die Angst den Schlummer geraubt.
Das Erzählen hatte ihm wieder vor Augen geführt, was der Tod ihm nahm. Wut auf Munumon kochte auf, er spürte die zunehmende Hitze sowie das Ziehen in seinem Antlitz. Noch lebte er. Das würden seine Feinde zu spüren bekommen.
In seine Heimat durfte er nicht mehr, da er seine Aufgabe, dieihm von den Unauslöschlichen aufgetragen worden war, nicht erfüllt hatte. »Kehrt erfolgreich zurück oder gar nicht«, hatte Nagsor Inàste zu ihnen gesagt. Die Schmach wäre zu groß.
»Du wirst leiden, Gnomenmissgeburt«, flüsterte er und schloss die Augen. »Leiden wie niemals zuvor in deinem nichtswürdigen Leben.«
Der scharfe Ritt begann mit dem Aufgang der Sonne.
Es ging einen sanften Hügel hinauf, und der Wald fiel zu ihrer Rechten zurück. Aus dem Hügel wurde ein fünfzig Schritt breiter Grat, auf dem sie entlanggaloppierten. Das Umland wurde durch ihn strikt getrennt.
Wenigstens hatten die Elemente ein Einsehen und verzichteten darauf, die Reisenden mit Regen zu überschütten. Sie beließen es bei einem sanften Wind, der mit den grauen und schwarzen Wolken Gemälde am weiten Himmel schuf und über einer breiten Ebene zu ihrer Linken ein Gewitterband formte, das sich mit Getöse entlud. Blitze stachen nieder, und das Donnern wollte nicht mehr enden.
»Wie gern würde ich es sehen, Gebieter«, seufzte Raleeha bedauernd, als sie das erste Grollen vernahm.
»Bedanke dich bei Sinthoras«, gab er zurück. Er war durch Sardaîs Verhalten alarmiert. Der Nachtmahr blickte unentwegt nach rechts, in die Richtung des Waldes, aus dem hier und da Nebelsäulen aufstiegen, die umeinander wirbelten.
Was verbirgt sich darin
?
Der gut vierhundert Schritt hohe Grat verschaffte ihnen zwar einen einmaligen Ausblick, gleichzeitig wurden sie deutlich gesehen. Es gab keinerlei Gewächse, nicht einmal Büsche, hinter denen sie sich notfalls verbergen konnten. Und wie es den Anschein hatte, mussten sie dieser Erhebung noch lange folgen.
Dann sah Caphalor, was die Aufmerksamkeit des Nachtmahrs erregt hatte: Auf einem schmalen Pfad unterhalb des Grats hetzten Reiter entlang und versuchten, zu ihnen aufzuschließen. Der Statur und der Bewaffnung nach waren es Barbaren, die auf großen Pferden hockten. Vermutlich gehörten zu ihnen die Hufspuren, die er vor dem Eingang zum Wald gefunden hatte.
Dann erkannte Caphalor seinen Irrtum. Die Soldaten verfolgten nicht sie, sondern einen weiteren, wesentlich kleineren Trupp in einiger Entfernung vor ihnen.
Wie angenehm. Die Barbaren jagen sich gegenseitig.
Seine Beruhigung währte nur kurz.
Die kleinere
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