Legenden d. Albae (epub)
Gewinner des Kampfes hatte nicht eine einzige Wunde hinnehmen müssen. Der Nachtmahr stand über dem Leichnam, roch an dem plätschernden Blut und leckte mit der Zunge durch die immer größer werdende Pfütze. Ein knappes Schnauben, und der Hengst soff den Lebenssaft seines getöteten Rivalen.
Der Alb verlangsamte seine Schritte und blieb neben Longin stehen, der jetzt zitterte. »Herr, verzeiht mir, ich …«, stammelte er und warf sich auf den Boden. »Sie ließen sich nicht trennen. Wir wagten uns nicht heran …«
»Weil ihr um euer nutzloses Leben gefürchtet habt«, vollendete der Alb so schneidend kalt wie der Nordwind.
Longin erhob sich auf die Knie. »Bitte, Herr! Sie benahmen sich wie toll!«
Der Alb sah ihn nicht einmal an, als er mit der Rechten einen langen Dolch zog. »Dir hatte ich den Auftrag erteilt, über beide zu wachen. Ich sehe einen von ihnen tot am Boden liegen. Erinnerst du dich, was ich dir versprach?«
»Dass mir Gleiches geschehen wird«, sagte er leise.
»In der Tat. Ich habe mich jedoch umentschieden.«Der Alb drehte den Dolch. »Einhundert von euch sind einen Nachtmahr wert. Ich hoffe, deine Familie ist groß genug?«
»Herr«, schrie Longin verzweifelt. »Nehmt mein Leben, aber lasst es meiner Frau und den anderen!«
»Wie wäre es, wenn ich deren Leben zuerst nähme und du zusehen müsstest?«, entgegnete der Alb zornig. »Ich zeige sie dir der Reihe nach, du nennst ihre Namen, und ich lasse sie sterben. Wie du meinen guten, alten Nachtmahr.« Longin sah die Bewegung nicht, doch plötzlich verspürte er einen heißen Schmerz in der Schulter, und Blut rann aus dem Schnitt. Dann kamen die Schmerzen, und er stöhnte auf. »Menschen halten dreihundert Schnitte aus, bevor sie sterben, wusstest du das?« Der Alb lachte dunkel. »Du wirst es bald selbst sehen. Mit deinem jüngsten Kind werde ich beginnen.«
»Herr!« Longins Hilflosigkeit kippte und schlug um, trieb ihn dazu, den Alb angreifen zu wollen.
Aber bevor der Gedanke vom Verstand in Arme und Beine geschossen war, zuckte die Dolchklinge herab und zerschnitt sein Herz. Sterbend sank er auf die Erde.
»Bald wirst du deine Familie wiedersehen, Sklave«, hörte er den Alb wie aus weiter Entfernung sagen, und die Verzweiflung ließ ihn Tränen weinen, bevor er mit dem Wissen starb, sämtliche Lieben mit in den Tod gerissen zu haben.
Caphalor wischte den Dolch an der Kleidung des Mannes ab.
Jetzt schuldete er Mórcass’ Gefährtin einen Sklaven. Wie gut, dass es um seine Zucht ausgezeichnet bestellt war. Sie würde etwas Besseres als den Namenlosen erhalten, den er mit dem raschen Stich zu milde bestraft hatte. Ihm hatte der Sinn nicht nachmehr gestanden.
Wenigstens war der Mensch in Verzweiflung gestorben, und das vollkommen ohne Grund. Caphalor hatte nicht vor, die Familie des Mannes abzuschlachten. So weit durfte er nicht gehen, da es nicht seine Sklaven waren.
Er betrachtete bedauernd den alten Nachtmahr, der in Fetzen neben Sardaî lag. Das Blut des Besiegten troff aus dessen Maul.
Caphalor hatte dem erschrockenen Sklaven geglaubt, denn er selbst war Zeuge der Kraft des Hengstes geworden. Dennoch war der Bursche seiner Aufgabe nicht nachgekommen.
»Sattelt den Kadaver ab, wascht das Reitzeug und bringt es mir«, befahl er den Halbriesen. »Schafft die Überreste zu meinem Gut.« Er würde aus den Knochen des Nachtmahrs sicherlich etwas gestalten können, und wenn es nur eine Beinpfeife wäre.
Der Nachtmahr trank ungerührt weiter vom Blut und stillte seinen Durst. Fasziniert beobachtete der Alb das Tier bei seinem Tun. Die Umwandlung bereitete Sardaî offenbar keinerlei Schwierigkeiten.
»Man sagte mir, du seist Caphalor«, ertönte eine Stimme in seinem Rücken.
Caphalor wandte sich um. Er hatte den Reiter in seiner Versunkenheit nicht bemerkt und nickte erstaunt.
Auf dem Mantel des Gerüsteten prangte das Signum der Unauslöschlichen. Er beugte sich herab und reichte Caphalor ein gesiegeltes Pergament.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Dsôn (Sternenauge), 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Sommer
Sinthoras prüfte den Sitz der Rüstung im Spiegel, ordnete denUmhang und brachte sein Gesicht nahe an die reflektierende Oberfläche, um etwaige Unschönheiten in seinem Antlitz zu erkennen. Makellos, blass genug und mit einer leichten Spur Ruß um die oberen Lider, um die Augen hervorzuheben: So durfte er dem Herrscherpaar entgegentreten.
Im Geiste ging er die
Weitere Kostenlose Bücher