Legionare
Tageslicht den mondlosen Himmel verlassen hatte.
Dar, schon jetzt hungrig, empfand Verärgerung über das ihr aufgezwungene Fasten. Hunger machte sie reizbar, und ihre Reizbarkeit nahm zu, als sie merkte, dass ihr alle Söhne penibel aus dem Weg gingen. Alle wussten, dass sie thwada war; sogar die Mütter blieben auf Distanz zu ihr. Dars einzige Befriedigung bestand in dem Wissen, dass auch Muth-pah thwada war.
Das Festmahl fand im Freien statt. Muth’las Umarmung wurde in offenen Räumen durch Holzstapel markiert, die man später anzündete, um einen Kreis aus Freudenfeuern zu schaffen. Die gesamte Sippe versammelte sich im Inneren des Kreises und wartete auf die Finsternis. Auch in der Mitte brannte ein Feuer. Dort rührten Mütter einen großen Kessel mit würzigem Eintopf um. Als der Wind den Duft in Dars Richtung trieb, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie setzte sich zu Muth-pah. Die beiden waren eine Insel des Ernstes in der festlichen Versammlung. Dar war überrascht, wie offen die Paare ihre Leidenschaft zur Schau stellten. Das Zusehen fiel ihr schwer, denn der Anblick weckte Gedanken an Kovok-mah.
Als die Nacht sich mit Sternen füllte, zündete man die Freudenfeuer an. Dann trugen Muth-pah und Dar den anderen das Festmahl auf. Nachdem dies geschehen war, führte die Matriarchin Dar aus dem Lichtkreis heraus. Als Dar ihr in die Finsternis folgte, hatte sie noch immer keine Vorstellung von dem, was sie dort tun sollte. Die beiden schritten eine Weile aus und kamen an eine Bodensenke vor der felsigen Wand des Bergkammes. Dorthin drang kein Sternenlicht, und es erschien – abgesehen vom dunkelroten Licht des Holzfeuers – absolut schwarz. Muth-pah blieb am Rand der Finsternis stehen und fing an sich zu entkleiden. »Zieh dich aus«, sagte sie.
Als Dar nackt war, nahm Muth-pah ihre Hand und führte sie ins Dunkel. Zuerst konnte Dar außer der Feuerglut nichts sehen und musste sich ganz auf ihre Führerin verlassen. Je weiter sie sich jedoch von den Feuern entfernte, umso besser passten sich ihre Augen dem Dunkel an. Sie sah, dass die Feuerglut sich auf den Seiten einer Spalte in der Felswand spiegelte. Ob künstlich erzeugt oder auf natürliche Weise entstanden – die Öffnung ähnelte einer Scheide. Kurz davor standen zwei Kupferbehälter von der Größe und Form kleiner Kessel und eine kleine hölzerne Schale. Muth-pah gab Dar die Schale. »Trink das.«
Dar nippte an der Flüssigkeit. Sie schmeckte bitter.
»Trink alles«, sagte Muth-pah. Sie schaute Dar beim Leeren der Schale zu, dann nahm sie einen der kupfernen Behälter. »Nun musst du gereinigt werden«, sagte sie und schüttete nach Kräutern duftendes Wasser über Dars Kopf und Körper. Dann wies sie Dar an, das Gleiche mit ihr zu tun.
Anschließend bat Muth-pah Dar, durch den Spalt zu gehen – den Zugang zu einer schmalen Höhle mit niedriger Decke. Brennende Feuer bildeten Baken, die ihnen den Weg ins Innere der Höhle wiesen. Muth-pah wies Dar an, ihnen zu folgen. Jedes Leuchtfeuer, das sie passierten, löschte sie mit Wasser aus dem Kupferkessel. Und je tiefer Dar in die Höhle vorstieß, umso dunkler wurde es hinter ihr. Die Luft, die schon jetzt heiß war und stechend nach Rauch roch, fing an zu dampfen.
Der Gang machte einen jähen Knick und endete in einer runden Kammer. Die Decke war so niedrig, dass Dar sich hinhocken musste, um hineinzupassen. Auch in einer Bodenvertiefung glühte es. »Setz dich hin«, forderte Muth-pah sie auf. Dar nahm im Schneidersitz Platz. Muth-pah tat es ihr gleich, dann schüttete sie den verbliebenen Inhalt aus dem Behälter
in die Glut. Mit einem lauten Zischen kam die absolute Dunkelheit.
»Mir ist schwindelig«, sagte Dar.
»Dein Geist verlässt den Körper«, erwiderte Muth-pah.
Dar berührte sich, um sich zu versichern, dass sie noch da war. Doch ihre Finger waren gefühllos. Sie spürte, dass der Boden sich auflöste. Gleich würde sie fallen. Sie wollte das Gefühl abwehren, indem sie sprach. »Sag mir, was ich hier soll. Was erwartet man von mir?«
»Du hast gesagt, du hättest mit Velasa-pah gesprochen. Vielleicht wirst du es noch einmal tun.«
»Ich denke, er ist tot?«
»Ist er auch. Deswegen bist du ja hier. Nur Geister können mit Geistern sprechen.«
»Dann werde ich also nicht auch tot sein?«
»Du könntest vielleicht zurückkehren«, sagte Muth-pah. »Wenn Muth’la es will.«
»Thwa«, sagte Dar. »Das kann ich nicht tun.« Sie wollte aufstehen, doch ihr Körper reagierte
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