Legionare
nicht einmal abstreiten, dass sie ihre Antworten weitergab. Ihre Lage wurde dadurch kompliziert, dass Nir-yat ihre einzige Informationsquelle war, denn sie waren allein. Normalerweise grenzten Schlafkammern an das Hanmuthi, und die Mahlzeiten nahm man gemeinsam ein; doch Dar und Nir-yat verließen ihren Raum nur selten. Selbst wenn sie badeten, benutzten sie statt des Gemeinschaftsteichs ein Becken.
Durch Gespräche mit Nir-yat konnte Dar sich allmählich ein Bild vom Leben im Hause Yat machen. Vieles glich hier dem, was sie aus anderen Ork-Ansiedlungen kannte. Der Hauptunterschied bestand darin, dass die Yat-Sippe die herrschende war. Matriarchinnen anderer Sippen trafen sich hier, um Anleitungen der Königin zu empfangen. Dies taten sie noch immer, obwohl die Königin in Taiben residierte, um sich von einem rätselhaften Leiden zu erholen. Dar hatte überrascht zur Kenntnis genommen, dass die Königin der Orks bei den Washavoki lebte. Kovok-mah hatte gesagt, sie habe von den Washavoki einen »starken Heilzauber« erhalten, und Dar war davon ausgegangen, dabei habe es sich um Medizin gehandelt, nicht um ambulante Behandlung. Seit dem Umzug der Königin kamen ihre Edikte über die Söhne, die im orkischen Militär dienten.
Es hatte Dar auch überrascht zu erfahren, dass die Königin
die Schwester Zor-yats und Muth-yats war, der Sippen-Matriarchin. Auf der Wanderschaft hatte sie gehört, dass die ältesten Mütter immer das höchste Ansehen genossen, deswegen hatte sie nicht erwartet, dass Mütter in den mittleren Jahren Sippen beherrschten. Von Nir-yat wusste sie, warum dies so war, doch die Erläuterung war nur skizzenhaft. Es hatte etwas mit irgendeinem »Fathma« zu tun, unter dem Dar sich so etwas wie Charisma vorstellte.
Neben dem Palast, in dem Dar sich aufhielt, besaß die Yat-Sippe noch weitere Landsitze. Sämtliche Sippen im Osten waren groß und weit verzweigt. Nur die »verlorene« Pah-Sippe bewohnte ein einzelnes Anwesen. Nir-yat äußerte sich abschätzig über sie, als sei sie ein Relikt der Vergangenheit, das nicht mehr in die Gegenwart passte. »Die Pah glauben noch immer an Velasa-pahs Prophezeiungen«, sagte sie. »Aber keine hat sich je bewahrheitet.«
»Was sind das für Prophezeiungen?«, fragte Dar.
Nir-yat zischte. »Prophezeiungen, die von der Geschichte längst widerlegt wurden. Nur Sagenbewahrer erinnern sich noch an sie.«
Im Verlauf ihrer Isolation gelangte Dar zu der Überzeugung, dass Muth-yat sie nur wieder empfangen würde, wenn sie sich angemessen informiert fühlte. Deswegen beantwortete sie alle Fragen wahrheitsgemäß – wenn auch nicht immer vollständig – und bot von sich aus zusätzliche Informationen an. Dennoch wollte sie ihre Gefühle bezüglich Kovok-mah erst enthüllen oder ihn erwähnen, wenn sie genau wusste, wie man diese Gefühle hier aufnahm.
Bald schwand Nir-yats Geringschätzung. Dars Berichte über die Härten und Gefahren dessen, was sie erlebt hatte, faszinierten die junge Mutter. Nir-yat wurde es nie müde, sich die Geschichte der Rettung ihres Bruders anzuhören. Am
vierten Morgen, als sie zum wiederholten Male die Geschichte des Kampfes gegen seine Häscher hörte, streichelte sie sanft Dars vernarbten Schenkel und sagte voller Mitgefühl: »Wie können Washavoki eine Mutter nur so behandeln?« In diesem Moment wusste Dar, dass sie Nir-yat für sich eingenommen hatte. Später ging Nir-yat fort und kehrte erst am späten Nachmittag zurück.
Kurz darauf wurde Dar zu Muth-yat gerufen. Die Matriarchin saß in einem Raum von besonderer Pracht. Er war rund wie ein Hanmuthi, doch in der Mitte gab es keinen Kamin. Stattdessen erhob sich dort ein erhöhter Sitz aus Stein. Obwohl er keine Rückenlehne oder Armlehnen aufwies, machten seine Größe und seine prächtigen Verzierungen deutlich, dass es sich bei ihm um einen Thron handelte. Sämtliche Rundbögen im Raum besaßen Fenster, die den Ausblick auf die nahen Berge erlaubten.
Muth-yat saß vor dem Thron auf einem Hocker, Zor-yat dicht bei ihr. Dar erkannte sofort, dass sie Schwestern waren; beide ähnelten sich sehr und wirkten vergleichbar beeindruckend. Nachdem Dars Begleitung den Raum verlassen hatte, nickte die Matriarchin ihr zu. »Ich bin Muth-yat.«
Dar verbeugte sich tief. »Ich bin Dargu.«
»Ich weiß von deinen Taten und wie es kam, dass du meinem Schwestersohn in den Nacken gebissen hast«, sagte Muth-yat. »Nun werden wir undurchsichtigere Dinge besprechen. « Dann begann sie mit ihrer
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