Legionen des Todes: Roman
Welt.
Ruhe durchströmte ihn. Und er wusste, hier und jetzt, dass er alles tun würde, um dieses Kind zu beschützen. Ihr Kind.
Er spürte, wie Jill sich von hinten an ihn klammerte und ihr Brustkorb bebte, während sie weinte, ihr Gesicht an seiner Schulter vergraben, damit er ihr Schluchzen nicht hören würde. Was hatte er nur getan? Wie konnte er ihr nur so wehtun? Er hatte sie zwar nicht geschlagen, aber er wusste, dass sein Schweigen einer emotionalen Folter gleichkam, die mindestens genauso schmerzhaft war.
Er senkte seine rechte Hand auf seinen Schoß und drückte sanft Jills ineinander verknotete Hände in der Hoffnung, dass dies für den Moment genügen würde.
Unwillkürlich stellte er sich vor, wie in diesem Bauch, der gegen sein Kreuzbein drückte, ein sich mit atemberaubender Geschwindigkeit teilender Zellhaufen, kaum größer als ein Stecknadelkopf, sich gegen die Hindernisse auflehnte, die ihm den Weg ins Leben verstellten. Würde das Baby die Augen seiner Mutter und seine dunklen Haare haben? Auf jeden Fall hoffte er, dass es nicht seine Nase erben würde. In seinem Kopf sah er ein perfektes Wesen, sah kleine, rosige Arme und Beine und einen Schopf blondes Haar auf ihrem Kopf. Auf ihrem Kopf? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie daran gedacht, dass es ein Mädchen werden könnte. Er konnte es schaffen. Er konnte stark sein. Stark genug für die Schlacht, die ihnen bevorstand, und stark genug, um seine Gene zu besiegen.
Er würde Papa werden.
Tränen rollten über seine Wangen und zogen feuchte Bahnen bis hinter zu seinen Ohren.
Das Motorrad jagte um eine Kurve, und sie ließen die letzten Ausläufer der Rockies endgültig hinter sich. Die Stadt erstreckte sich vor ihnen, der Horizont zerrissen von chaotischen Ruinen und den verkohlten Überresten hundert Jahre alter Bäume. Dort, genau vor ihnen am Ende des Weges, der ihm jetzt viel zu kurz erschien, stand der verhängnisvolle Turm. Selbst in seiner Fantasie hatte er bei weitem nicht so dunkel und drohend gewirkt, ein Krebsgeschwür, das aus einer sterbenden Landschaft ragte. Sein Puls beschleunigte sich, und beinahe hätte er einen liegengebliebenen Pick-up gerammt, bevor er das Motorrad wieder unter Kontrolle bekam und in die Mitte der Fahrbahn wechselte.
Eine halbe Meile vor ihnen konnte er im Schein der aufgehenden Sonne, die den Himmel blutrot färbte, Evelyns Rücklicht erkennen. Sofort schrie jede Zelle in seinem Körper danach umzudrehen, doch seine Schwester war irgendwo da vorne. Er konnte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, doch gleichzeitig war er zwischen zwei Verantwortungen hin- und hergerissen. Genauso wenig konnte er zulassen, dass Jill und ihrem gemeinsamen Kind etwas zustieß. Was sollte er tun? Wenn er umkehrte, konnte sie das alle in die Verdammnis stürzen; wenn er weiterfuhr, brachte er damit das neue Leben in Gefahr, das ihm anvertraut war. Er war nicht darauf vorbereitet, eine Entscheidung von derart großer Tragweite zu treffen.
Instinktiv griff er in die Bremsen, als er vor sich einen gleißenden Lichtblitz sah. Es hatte ausgesehen wie eine Sternschnuppe, die es bis in die unterste Schicht der Atmosphäre geschafft und sich in die vor ihnen liegende Straße gebohrt hatte. Nein, keine Sternschnuppe. Der Lichtschein zog eine gekrümmte Leuchtspur hinter sich her, einen strahlenden, orangefarbenen Regenbogen, der von der Rückseite eines eingestürzten Gebäudes mit einer abgebrannten Baumgruppe daneben ausging, hinter der eine dieser verhassten Rauchwolken aufstieg und in demselben feurigen Lichtschein erstrahlte.
Ein Strahl aus flüssigem Feuer weit vor ihnen hob ein Fahrzeug von der Straße und blies es auf die gegenüberliegende Fahrbahnseite, von wo es sich überschlagend die Böschung hinunterstürzte.
»Missy!«, schrie Mare. Er gab Gas, und sie jagten vorwärts.
»Mare, nein!«, brüllte Jill hinter ihm. »Bitte, tu es nicht! Du kannst nicht …!«
Doch ihre Stimme wurde fortgerissen vom Dröhnen des Motors und des Fahrtwinds, der immer wärmer zu werden schien, während sie Jills schlimmstem Albtraum entgegenrasten.
VIII
IN DEN RUINEN VON DENVER, COLORADO
Phoenix weigerte sich, seine Augen zu schließen, obwohl der Schmerz so überwältigend war, dass es seine zur Neige gehenden Reserven bis aufs Äußerste beanspruchte, sie offen zu halten. Er verweigerte seinen Folterern die Befriedigung, ihn schreien zu hören. Nicht einmal ein Wimmern kam über seine Lippen. Er hatte all seine
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