Legionen des Todes: Roman
das Licht hinübergegangen war, kennengelernt hatte, bereits über sich spüren. Es war ein verhasstes Gefühl der Leere, an das er sich erinnerte aus jenen Nächten, die er in feuchtkalten Kellern mit tropfenden Rohrleitungen und an der Decke umherkrabbelnden Insekten verbracht und gebetet hatte, der Schwarm möge nicht über ihn kommen, solange er vergeblich versuchte einzuschlafen. Selbst damals hatte Phoenix gewusst, dass sie sich eines Tages gegenüberstehen würden, zusammengebracht von der unwiderstehlichen Anziehungskraft zwischen ihnen, die sie aneinanderband wie die zwei entgegengesetzten Pole eines Magneten, um eines Tages diese letzte Schlacht auszufechten, bei der es um nichts weniger gehen würde als das Schicksal der Erde.
Zehn Stockwerke unter ihm schrie Missy seinen Namen. Ihr Schmerz hallte um ihn herum in der Dunkelheit wider und holte seinen Geist zurück in die Realität, als hätte jemand einen Eispickel in seine Ohren getrieben. Ihr Schmerz fügte ihm weit schlimmere Wunden zu, als Tods Klauen es jemals gekonnt hätten.
Er wusste nicht, wie viele Stockwerke er bereits hinter sich gebracht hatte, doch er spürte, dass er bald das Ende der Himmelsleiter erreicht haben würde. Die Unausweichlichkeit, mit der er sich von diesem Dach angezogen fühlte, war überwältigend, und mit jedem seiner schwerer werdenden Schritte wurde sie stärker.
Als er über einen weiteren Treppenabsatz hastete, öffnete sich zu seiner Linken ein Durchgang, aus dem ihm in all seiner Mannigfaltigkeit der faulige Gestank des Todes entgegenschlug. Verfärbtes, verwesendes Fleisch; vergossenes Blut, der Zersetzung preisgegeben; der Staub zermahlener Knochen; Eiter und Fäkalien. Die Ausdünstungen des Verderbens trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube, und es dämmerte ihm, dass das Böse, mit dem er es zu tun hatte, selbst seine nicht länger eingeschränkte Vorstellungskraft bei weitem überstieg.
Er hatte Angst.
Als schwarzes Flimmern jagten die letzten Treppenstufen unter ihm vorbei, seine Gedanken wurden zu einer verschachtelten Abfolge von Bildern, die mit Lichtgeschwindigkeit an ihm vorüberrasten, und doch kostete er jeden Anblick und jede Erinnerung in vollen Zügen aus. Das Letzte, was er sah, bevor er gegen die kalte Stahltür prallte und mit der Hüfte gegen den waagrechten Türriegel krachte, war ein wunderschönes Mädchen mit rabenschwarzem Haar, das am Ufer eines Sees saß, ihre Silhouette von der hinter ihr untergehenden Sonne in einen feurigen Strahlenkranz getaucht, ihre Beine in das kristallklare Wasser baumelnd.
Die Tür explodierte nach draußen, und Phoenix stolperte auf das Dach hinaus, der Teer unter seinen Füßen weich von der Hitze. Er blinzelte und rieb sich die Augen, um das blendende Licht der Sonne zu vertreiben, bis er schließlich etwas sehen konnte. Blauer Himmel erstreckte sich vom Horizont aus in jede Richtung wie ein endloser Ozean aus Luft.
In der Mitte des Daches blieb er stehen. Der Wind pfiff zwischen verbogenen Stahlträgern, zerfetzten Auslassschächten und Rohrleitungen hindurch und peitschte Phoenix’ Gesicht mit seinen blutverkrusteten Haarsträhnen.
Direkt vor Phoenix stand, mit dem Rücken zu ihm, die schwarze Gestalt aus seinen Albträumen. Wie ein Wasserspeier hing sie am Rand der Welt und starrte mit kalten Augen auf das Eingangsportal hinunter.
»Denn wer den Wind sät«, sagte Tod mit rasselnder Stimme, »wird Sturm ernten.« Phoenix beobachtete, wie die Kreatur sich zu ihm umdrehte, sah die blutroten Augen, in denen sich einen Moment lang Überraschung spiegelte, die jedoch schnell verdrängt wurde vom Flammenschein sämtlicher Feuer der Hölle.
Flatternd blähte sich der scharlachrote Kehlsack unter Tods Kinn auf wie eine platzende Halsschlagader, dann breitete der Dämon seine Arme aus und schleuderte ein donnerndes Fauchen hinauf in den Himmel.
IV
»Bitte … geht jetzt«, waren die letzten Worte gewesen, die Phoenix zu ihr gesagt hatte. Kein Ich liebe dich , kein auch noch so kurzer Moment der Zuneigung. Vielleicht hätte sie dann geahnt, was als Nächstes kommen würde, was wahrscheinlich auch der Grund war, warum er davongerannt war und sie einfach hatte stehen lassen, unfähig zu begreifen, was geschah. Er hatte so schwach ausgesehen, so zerbrechlich. Sie wollte gerade ihre Arme um ihn schlingen, damit er nicht wieder hinfiel, als er plötzlich losgerannt war. Es war absurd. Gerade erst hatte sie gesehen, wie er zu den Lebenden zurückgekehrt
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