Legionen des Todes: Roman
zurück zu dem Platz, wo er schon einmal umsonst sein Leben gegeben hatte. Diesmal jedoch, diesmal würde es anders sein. Er wusste jetzt, was er tun musste.
Missys Schreie zerrissen die Luft, übertönten noch die Rufe der anderen.
Das mit seinem eigenen getrockneten Blut verschmierte Kreuz flog an ihm vorbei, als er zwischen Schutthaufen und dem leeren Türrahmen hindurch hinein in die Dunkelheit rannte. Er ließ sich von seinem Instinkt leiten, durchquerte die Lobby, die nur noch an den Überresten der zerstörten Einrichtung als solche zu erkennen war, und tauchte ein in einen Gang, der jetzt eher einem Tunnel ähnelte, hastete an schiefhängenden Aufzugtüren vorbei, die den Blick auf gähnende Abgründe freigaben, die zu den darunterliegenden Stockwerken führten, und rannte auf die stählerne Tür zu, die herausgerissen neben der Schwelle lag, die sie einst versperrt hatte. Dann sprintete er die Treppe hinauf, mehrere Stufen mit einem Schritt nehmend, duckte sich unter herabhängenden Metallarmierungen und Teilen der Deckenverkleidung hindurch, umging im Zickzack die Löcher, an denen die Betonstufen geborsten und herausgebrochen waren. Über allem lag der Gestank von Fäkalien – die letzten Überreste der Überlebenden, die durch den Verdauungstrakt des Schwarms gewandert waren. Nach wenigen Momenten nahm er den Gestank schon gar nicht mehr wahr, schmeckte den Staub nicht mehr auf der Zunge, der in der vollkommen bewegungslosen Luft des halb eingestürzten Treppenhauses hing. Er konzentrierte sich voll und ganz darauf, sich an dem Geländer festzuhalten und sich immer weiter nach oben vorzuarbeiten, von Treppenabsatz zu Treppenabsatz, immer höher hinauf.
Die Luft wurde von Sekunde zu Sekunde kälter, aber auch das war ihm egal. All das würde bald zu Ende sein.
Missys Schreie hallten unten in der Lobby wider, als sie endlich den Eingang zum Treppenhaus gefunden hatte. Er wollte nach ihr rufen, ihr sagen, sie solle von diesem düsteren Ort des Todes fliehen, dass nun endlich alles gut werden würde, aber er wusste, dass der Klang seiner Stimme sie nur noch schneller vorantreiben würde, und er brauchte jeden Meter Vorsprung, den er hatte. Es musste vorüber sein, bevor sie das Dach erreichte. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, ihr Leben zu gefährden.
Er versuchte weniger Lärm zu machen, verlagerte sein Gewicht nach vorn und lief nur noch auf den Zehenspitzen, damit das Trampeln seiner Schritte nicht bis zu ihr nach unten drang, auch wenn er keinen Zweifel hatte, dass sie bereits wusste, wo er war, und Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um ihn einzuholen. Und er liebte sie nur noch mehr deswegen. Das war der Grund, warum er Tod jetzt gegenübertreten musste. Für Missy. Für sie alle.
Immer höher stieg er, und jeder Muskel in seinen Beinen brannte wie Feuer wegen der Anstrengung. Er durfte nicht langsamer werden, obwohl seine Lunge schmerzte und ihm immer schwindeliger wurde von der zunehmenden Höhe und der Spiralbewegung, mit der er sich hinauf in die alles erstickende Dunkelheit schraubte. Sein Körper war nicht mehr von Belang. Das wusste er seit seiner Begegnung mit dem Jenseits, jener Ewigkeit, die binnen eines Wimpernschlags an ihm vorübergezogen war, in der er so unvergleichliche Schönheit und Frieden erfahren hatte. Es war schmerzlich gewesen, als er zurück in seine zerbrechliche fleischliche Hülle geholt worden war; doch hatte er die ganze Zeit über gewusst, dass dies sein Los war, denn Stimmen, die ihm aus einem blendenden Licht entgegenwehten, das heiß und kalt zugleich war, hatten es ihm erzählt in einem Singsang, der sich anhörte wie klirrende Kristallbecher. Sie hatten ihm versprochen, dass der Tod nur ein Übergangsstadium war, die Wiederauferstehung hingegen für die Ewigkeit – ein Paradoxon, das die Möglichkeiten von Fleisch und Blut bei weitem überstieg und nur zu fassen war in der Sprache, die allein die Seele verstand. Er würde noch einmal leben, damit er noch einmal sterben konnte. Sein Opfer wiederholen, um das ewige Leben zu erringen. Doch was viel wichtiger war: Sein Tod würde Leben bringen in eine Welt, die am Rande des Untergangs stand, jene retten, für die er bereitwillig eine Million qualvoller Tode erduldet hätte, und sei es auch nur, um ihnen Hoffnung zu geben.
Doch die Zeit wurde knapp. Er konnte Tod und seine kalte Aura, die er in dem Sekundenbruchteil, in dem sich seine Pupillen zu Stecknadelköpfen verengt hatten und seine Seele in
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