Legionen des Todes: Roman
ihre Visionen immer als unabänderlichen Ausgang der Ereignisse angesehen, nie als Ausgangspunkt. Sie wusste, dass sie irgendwann einen Waldbrand erleben würden, in dessen Rauch sich fürchterliche Kreaturen versteckten, aber sie wusste auch, dass sie zu einem anderen Zeitpunkt ihr Kind auf den Armen halten würde. Wenn dieses Feuer vor der Geburt ihres Kindes ausbrach, dann hieß das, dass sie überleben würde. Und wenn sie überleben konnte, dann konnte sie auch den anderen helfen, es zu schaffen. Außer ihr selbst waren mindestens noch zwei andere in der Vision gewesen. Sie hatte definitiv zwei verschiedene Stimmen gehört. Alles, was sie tun musste, war, die Vision noch einmal zu durchleben. Wenn es ihr gelang, möglichst viele Details zu isolieren und zu untersuchen, konnte sie vielleicht einen Weg finden, sie alle zu retten, bevor das Feuer überhaupt ausbrach.
Es lag eine seltsame, paradoxe Logik in diesem Gedankengang, die mit einem Mal einen Sinn ergab.
Sie mochte von schrecklichen Visionen geplagt werden, aber irgendwo in diesen Visionen, verborgen hinter dem Rauch und den Bestien, lagen die Puzzlestücke für ihre Rettung.
VII
SALT LAKE CITY
Adam konnte einfach nur reglos dastehen, geschockt und voll Abscheu. Er wollte sich wegdrehen, irgendwo anders hinsehen, aber er konnte es einfach nicht. Er musste das hier sehen. Noch nie hatte er ein Schlachthaus besucht oder eine Bärenhöhle von innen gesehen, aber das hier sah aus, wie er sich eine Mischung aus beidem vorgestellt hätte. Spritzer braunen, getrockneten Blutes hingen an der gewölbten Decke wie Miniatur-Tropfsteine, derselbe Anblick rostroter Flecken bot es sich an den Wänden, durchsetzt mit Blutfäden, auf die Wand geklatscht und dort festgetrocknet. Auch der Boden war damit bedeckt, so dick, dass das Blut an manchen Stellen noch feucht war. Schmatzend und spritzend stapfte er mit seinen Stiefeln hindurch und hinterließ rote Fußabdrücke, die langsam gerannen, während er auf die Mitte der Lobby zuging, wo sich der bizarrste Anblick von allen bot.
Zu seiner Rechten konnte er durch die offene Tür ins Restaurant sehen, wo zwischen den verfaulenden Überresten ihrer letzten Mahlzeit, auf denen mittlerweile flauschiger, grünlich-weißer Schimmel spross, umgestürzte Tische und Stühle verstreut lagen. Im Speiseraum war weit weniger Blut, sodass die Fußabdrücke der Reptilienmonster auf dem grauen Schieferboden gut zu erkennen waren – außer in der Mitte, wo sie sich anscheinend wie eine Büffelherde in den Raum gestürzt hatten. Selbst an den Wänden waren ihre Abdrücke zu sehen, und auf den umgestürzten Tischen, an den Stellen, wo das Holz von scharfen Klauen aufgerissen worden war. Doch es lag keine einzige Leiche in dem Restaurant, nur zerfetzte Kleidungsstücke.
Alle Knochen waren fein säuberlich vom Fleisch befreit und in der Mitte der Lobby zu einem Haufen aufgestapelt worden. Der abscheuliche Hügel ragte beinahe doppelt so hoch auf wie Adam. Der schieren Menge von Blut am Boden nach zu schließen, hatten sie die meisten ihrer Opfer schreiend und strampelnd in die Vorhalle geschleift, um sie dort abzuschlachten. An den langen Knochen hingen noch die angenagten Sehnen, die schlanken Schäfte aufgebrochen, um an das Mark darin zu kommen. Er sah zerschmetterte Rippen und herausgerissene Wirbelkörper sowie abgerissene Schädeldecken, um die darunterliegende zarte graue Masse freizulegen. Zähne und Handwurzelknochen lagen über den Boden verstreut wie Popcorn. Anscheinend hatte der Schwarm in seiner Eile, den See zu überqueren, die zäheren Körperteile verschmäht, vielleicht auch für später aufgehoben, wenn sie zurückkehrten: Knorpel, Bänder und Sehnen an Knien und Fußgelenken waren noch intakt, nur das Blut hatten sie bis auf den letzten Tropfen abgeleckt. Adam hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie groß ein Haufen von über neunzig Skeletten mindestens sein müsste, aber der Ausdehnung des Berges vor seinen Augen nach zu schließen, mussten es wohl alle aus der Gruppe sein.
Er wollte sich die Schmerzen, die diese bedauernswerten Männer und Frauen hatten ertragen müssen, gar nicht ausmalen, die Qual, bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen gerissen zu bekommen, das Bewusstsein noch wach genug, um die entsetzliche Marter zu spüren. Er hoffte, dass sie wenigstens schnell gestorben waren, denn schmerzlos war ihr Tod mit Sicherheit nicht gewesen.
»Ich habe dir gesagt, du sollst da nicht
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