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Legionen des Todes: Roman

Legionen des Todes: Roman

Titel: Legionen des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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Schultern, aber er würde dieses Kreuz nicht allein tragen müssen. Nicht, solange er sie hatte. Vielleicht konnte sie auch gar nichts tun, aber sie musste es zumindest versuchen. Wenn er sich doch nur ein bisschen öffnen würde …
    Missy sprang von der Ladefläche herunter und sah sich um, aber es war niemand in der Nähe. Sie hörte Stimmen von der anderen Seite der niedergebrannten Straßenbarrikade, also kletterte sie hinauf und schaute von dem Haufen verkohlter Bretter auf den ehemals weißen Sand hinunter. Ihr Bruder verschwand gerade im Eingang der Höhle zu ihrer Linken, um seine Kartons loszuwerden. Die Wellen brandeten lautlos an den Strand und hinterließen schaumige Blasen, während sie sich wieder zurückzogen, über dem Wasser hingen die Rauchschwaden der beiden Feuerstellen. Missys Augen folgten dem Qualm bis zu seiner Quelle, und da sah sie Phoenix neben dem einsamen hölzernen Kreuz an Carries Grab im Sand sitzen, Evelyn direkt neben ihm. Missy beobachtete, wie er eine kleine rote Blüte von den Ranken zupfte, die sich um das Kreuz schlangen. Er musterte sie aufmerksam, dann gab er sie Evelyn.
    Fast blieb Missy das Herz stehen. Ihr Magen zog sich zusammen, und eine Träne kroch aus ihrem rechten Augenwinkel. Sie hatte verstanden.
    Langsam schloss sie die Augen, wischte sich das Salz von der Wange und drehte sich weg. Es war, als hätte jemand ihr einen Magenschwinger verpasst. Sie ging den verbrannten Hügel hinunter, während die Nacht sich auf sie herabsenkte, als wollte sie Missy zerquetschen. Sie musste sich nur körperlich betätigen – mit etwas Glück würde das auch ihre Gedanken ablenken. Sie wollte aus der Haut fahren, sich irgendwo in einer dunklen Ecke zusammenrollen und weinen, sie dachte an ihr Zimmer im Haus ihrer Eltern, die Fotos von ihrer Mutter an den Wänden und all die Stofftiere auf dem Regal, die darauf warteten, ihre Tränen zu trocknen. Sie hatte es satt, ständig Angst zu haben, und auch den Schmerz hatte sie satt. Ihr Leben war zu einer einzigen Übung in Gleichmut geworden. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, sie hätte jemand Besonderen gefunden, jemand, der ihre Welt zusammenhielt, doch sie hatte sich getäuscht, so wie jedes Mal. Ihr Leben war so, wie es immer gewesen war und auch immer sein würde. Die einzige Skala, mit der es sich bemessen ließ, war die Intensität des Schmerzes, den sie empfand.
    Missy schaute hinauf in den Himmel, während sie weiterging, aber die Sterne boten ihr keinen Trost. Sie waren nur kalte, weiße Punkte, die aus dem Schwarz der Nacht hervorstachen. Stets hatte sie sich vorgestellt, dass ihre Mutter dort oben irgendwo war und über sie wachte, aber sie spürte nichts dergleichen, keine Güte, keine himmlische Allwissenheit, nur den kalten Wind, der ihr von Süden entgegenwehte.
    Sie lud sich einen Stapel der Holzpflöcke, mit denen sie bald ihre Befestigungsanlagen erneuern würden, auf den Arm und machte sich auf den Weg zur Höhle. Missy gab ihr Bestes, nur nicht auf die Gräber zu schauen und darüber nachzudenken, wie vollkommen allein sie sich fühlte.

IV
     
    »Wir sollten den anderen beim Ausladen helfen«, sagte Evelyn, während sie hinter Phoenix den Strand entlang in Richtung des einsamen, behelfsmäßig zusammengezimmerten Kreuzes ging.
    »Es dauert nur eine Minute«, erwiderte Phoenix und drehte sich zu ihr um. »Ich möchte das hier erledigen, solange die anderen noch abgelenkt sind.«
    Er hatte sie in der Höhle angesprochen, als sie gerade ein Bündel Kleidung abgelegt hatte und er dabei war, das erste Bündel Holzpflöcke aufzustapeln. Ein bestimmter Ausdruck in seinen Augen, ein leichtes Zittern in seiner Stimme unterstrich die Dringlichkeit seiner Worte. Er musste mit ihr reden. Und nur mit ihr. Zuerst dachte sie, es hätte etwas mit Missy zu tun, aber während sie auf den See zugingen, merkte sie, dass das, was ihn belastete, von weit schwerwiegenderer Natur war.
    Vorsichtig ging er auf dem flachen Boden zwischen den kleinen Sandhügeln hindurch und setzte sich neben das Kreuz. Er konnte ihr immer noch nicht in die Augen sehen. Evelyn blieb einen Moment lang hinter ihm stehen und wartete darauf, dass er etwas sagte, aber schließlich setzte sie sich neben ihn, als ihr klargeworden war, dass er erst dann sein Schweigen brechen würde, wenn auch sie sich hingesetzt hatte.
    »Es ist etwas sehr Spezielles an dir«, flüsterte er, kaum hörbar über dem Zischen des salzigen Schaums der Brandung.
    »Phoenix

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