Legionen des Todes: Roman
…«
Er blickte zu ihr auf, Tränen standen in seinen Augen, und sie wusste, dass sie ihn zu Ende sprechen lassen musste.
»Was du da mit dem Seetang gemacht hast … du hast eine sehr besondere Gabe.«
»Ich habe nur das Wasser ein bisschen erwärmt, damit die Pflanzen überleben können.«
»Es war mehr als das. Du wolltest mit all deiner Kraft, dass sie überleben, und sieh sie dir jetzt an.«
Evelyn warf einen Blick über ihre Schulter auf die Stellen, an denen sich die beiden Ringe aus rußgeschwärzten Steinen aus dem weißen Sand erhoben. Der Seetang hatte mittlerweile die Wasseroberfläche durchbrochen, wie Buschwerk auf einer Überflutungsebene, und sich über mehrere Meter in alle Richtungen ausgebreitet. Die Pflanzen hatten sich so gut angepasst, dass sie die Abwärme der Kohlefeuer, mit denen sie das Wasser aufheizten, nicht mehr brauchen würden, um zu überleben, so viel war sicher. Dennoch beruhigte es Evelyn, wenn sie von weiter weg auf den Strand hinunterschauen konnte und die dünnen Rauchfahnen aus den Plastikrohren, die aus dem seichten Wasser ragten, aufsteigen sah.
»Es ist eine widerstandsfähige Spezies«, sagte Evelyn und drehte sich wieder zu Phoenix um. »Sie haben nur eine kleine Starthilfe gebraucht.«
»Du hast ihnen weit mehr gegeben als das.«
Schweigend saßen sie da. Phoenix schaute nervös zwischen ihrem Gesicht und seinen Händen auf seinem Schoß hin und her, während Evelyn die anderen dabei beobachtete, wie sie beim Entladen des Trucks immer wieder die Straßensperre hinauf- und hinunterkletterten.
»Über was denkst du nach, Phoenix?«, fragte sie schließlich.
»Ich möchte dir etwas geben.« Er zupfte eine der Ranken von dem Querbalken des Kreuzes und legte sie behutsam auf seinen Schoß. An dem Zweig waren mehrere blutrote Blüten, die Evelyn an eine Kreuzung aus Löwenmaul und Orchideen erinnerten. Sie hatten lange Staubbeutel, die orangefarben leuchteten wie ein Sonnenuntergang und über den Rand der Blütenkelche hingen wie die Tentakel eines Oktopus aus dem Maul eines Hundes. Sanft berührte Phoenix jede der Blüten, feiner Staub bedeckte seine Fingerspitzen, bis er schließlich die fand, nach der er gesucht hatte. Er löste sie vorsichtig von dem Zweig, dann hielt er sie Evelyn auf dem flachen Handteller hin. Evelyn betrachtete die Blüte eine Weile, dann griff sie zögernd danach.
»Phoenix … du bist ein total süßer Junge, aber ich …«
Ihre Stimme erstarb, als sie sah, wie die Ränder der Blütenblätter weiß wurden und dieses Weiß sich über den gesamten Kelch ausbreitete, bis alle Farbe aus der Blüte verschwunden war. Die Staubbeutel entließen ihr goldenes Pulver, das in kleinen Wölkchen wie Rauch aus einer Tabakpfeife von ihrer Handfläche aufstieg und glitzernd über den Sand davonschwebte. Evelyn betrachtete die Ranken an dem Kreuz. Auch sie waren jetzt weiß. Sie wollte Phoenix gerade fragen, was da vor sich ging, als sie plötzlich einen Stich in ihrer Handfläche spürte. Die Farbe, die aus der Blume gewichen war, bildete jetzt eine kleine Pfütze auf ihrer Hand, von der eine seltsame Wärme ausging. Sie versuchte, die Blüte von ihrer Hand zu nehmen, aber sie ließ sich nicht bewegen: Der kleine Stängel hatte ihre Haut durchstoßen und hielt sich wie mit einem Widerhaken fest. Sie konnte nur zusehen, wie die Flüssigkeit sich zusammenzog und die Pfütze immer kleiner wurde wie Badewasser, das aus einer Wanne läuft. Zunächst dachte sie, sie würde zwischen ihren Fingern hindurchrinnen, doch sie spürte keine Tropfen auf ihrem Schoß. Erst als sich eine starke Hitze von ihrer Hand über die Gelenke bis in ihre Arme ausbreitete, verstand sie, was geschah.
Die Adern an ihren Unterarmen schwollen an und zeichneten sich blassgrün unter ihrer Haut ab, bis sie schließlich so dunkel waren wie Palmenblätter. Evelyn schrie auf und schüttelte wild ihre Hand. Die vertrockneten Blütenblätter fielen zu Boden; als sie den Sand berührten, zerfielen sie zu Staub. Der letzte Tropfen scharlachroter Flüssigkeit verschwand in dem stecknadelkopfgroßen Loch in ihrer Handfläche, das sich daraufhin wieder schloss, als wäre es niemals da gewesen. Die Adern, die sich einen Moment zuvor noch so deutlich abgezeichnet hatten, schwollen wieder ab, doch die Wärme strömte ungehindert weiter in ihre Brust, durchflutete ihr Herz und verbreitete sich in ihrem ganzen Körper. Evelyn spürte, wie ihr Gesicht rot wurde und ihre Zehen kribbelten. Ihre Augen
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