Legionen des Todes: Roman
finsterer Schlucht.
Genau so fühlte sich das an, was sie vorhatten.
Jill schloss die Augen, und die Vision, die ihre Großmutter vor vielen Generationen ihr gesandt hatte, erschien. Das Kind in ihrem Schoß blickte zu ihr hinauf, die Augen erfüllt von Verwunderung und Leben. Dann verzog ihre Tochter das Gesicht zu diesem Grinsen, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, und Jill spürte, wie ein warmes Kribbeln ihren Körper durchflutete.
Würdest du alles für dieses Kind opfern? , fragte flüsternd eine Stimme im tosenden Fahrtwind, während der Truck sich immer schneller von ihrem Zuhause entfernte.
»Ja«, flüsterte Jill zurück, und der Hauch eines Lächelns huschte über ihre Lippen.
Sie hatte keine Angst mehr.
VIII
An ihn gelehnt schlief Missy ein, nachdem sie den Highway erreicht hatten. Sie kamen nur langsam voran, genauso wie auf der Rückfahrt aus der Stadt am Tag zuvor. Phoenix beobachtete, wie die liegengebliebenen Autos auf dem endlosen Asphaltstreifen hinter ihnen langsam kleiner wurden, während der Truck sich durch den Fahrzeugfriedhof schlängelte. Phoenix fuhr mit den Fingerspitzen über Missys Stirn. Sie war so wunderschön, selbst im Schlaf. Er wünschte, er wäre in ihrem Kopf und könnte ihre Träume sehen, könnte sie so perfekt machen, wie Missy es war. Schließlich reichte es, wenn er Albträume hatte. Er wusste, wohin sie unterwegs waren. Er hatte es klar und deutlich in seinen Träumen gesehen, hatte das Böse gespürt, das von dem Ort ausging, noch bevor sie auf ihrem Weg nach Mormon Tears die Berge überquert hatten. Der Mann – wenn man ihn immer noch als solchen bezeichnen konnte -, der dort auf ihn wartete, war einerseits genauso wie er, doch andererseits das genaue Gegenteil. Selbst für Phoenix war diese Vorstellung kaum zu begreifen. Dieser Mann, der jetzt in Tods Gestalt auf Erden wandelte, war wie er selbst für die bevorstehende Schlacht auserwählt worden. Sie waren wie zwei Seiten einer Medaille, so viel wusste Phoenix, aber dahinter lag noch mehr verborgen. Sie waren gleich. Sie waren verschieden. Zwei Schicksale, durch einen verwirrenden Gegensatz miteinander verwoben, als würden sie mit verbundenen Augen zwei Gabelungen desselben Pfads beschreiten; die Entscheidung jedoch, welche Abzweigung jeder von ihnen nahm, hatte ein anderer getroffen, sei es nun Gott oder wer auch immer.
Er fühlte Mitleid mit ihm, aber noch mehr fürchtete er ihn. Fürchtete sich davor, was geschehen würde, wenn sie ankamen. Er ängstigte sich zu Tode, dass er nicht die Kraft haben würde zu tun, was nötig war, sobald die Zeit dafür gekommen war. Sein Herz war sein schwacher Punkt, und in seinem Herzen waren seine Gefühle für Missy, Gefühle, die so stark waren, dass er sich zwischen ihrer Liebe und ihrem Leben würde entscheiden müssen. Und Schmerz. Sein Körper zitterte regelrecht bei dem Gedanken an den puren Schmerz, der jenseits der Berge auf ihn wartete. Bei Gott, der Schmerz könnte schlimmer sein, als er zu ertragen vermochte.
»Was ist los mit dir?«, fragte Missy und schaute auf die Träne, die über seine Wange lief. Er hatte nicht gemerkt, wie sie aufgewacht war.
»Nichts«, erwiderte er und streichelte ihr Gesicht. »Gar nichts.«
Missy setzte sich auf und blickte durch das offene Heck des Anhängers auf den Slalomparcours aus liegengebliebenen Fahrzeugen, in denen vereinzelt noch die schwarzen Leichname derer lagen, die darin gestorben waren. Sie sah Baustellen und dazwischen ein paar Häuser, die ersten Vorboten des westlichen Stadtrandes.
»Du bist ein schlechter Lügner«, sagte sie schließlich und schaute ihn an. Er hatte die Tränen in seinen rosafarbenen Augen bereits weggewischt und wieder den undurchdringlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den er stets zur Schau stellte.
Phoenix lächelte, nahm ihre Hand und hielt sie auf seinem Schoß ganz fest zwischen den seinen. »Wir alle haben unser eigenes Kreuz zu tragen«, erwiderte er. Dann beugte er sich zu ihr hinüber und küsste Missy auf den Scheitel.
Sie wusste, dass die Unterhaltung damit für den Moment beendet war, aber sie würde darauf zurückkommen. Früher oder später würde sie ihn dazu bringen, sich zu öffnen.
Der Truck schlängelte sich durch das immer enger werdende Labyrinth aus kreuz und quer stehenden Fahrzeugen, arbeitete sich langsam über die rechte Spur bis auf den Seitenstreifen vor. Der Anhänger neigte sich ein wenig, als sie eine Ausfahrt hinauffuhren, die zu beiden Seiten mit
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